Datum | 2007 |
höchste Platzierung | 1 |
Album | Zimmer 483 |
Website | http://www.tokiohotel.com/ |
CHARTSKOMPATIBEL UND GRUNDSOLIDE
Irgendwann kamen selbst die erfahrensten Journalisten der Jugend-Zeitschrift BRAVO nicht mehr hinterher, eine brisante Neuigkeit folgte der nächsten. Das erste Album lag bereits etwas zurück, der Hype hatte noch gar nicht vollends seinen Höhepunkt erreicht, da schlugen die spektakulären News wie ein Bombenhagel in der Münchener Redaktion ein. Ausgabe 07/07: „Bills mutige Liebesbeichte: Seit zwei Jahren kein Kuss! Warum er so einsam ist“. Gerade, als sich die weibliche Leserschaft nach jenem Artikel vor Entzücken die Fingernägel mit neuen Pastelltönen lackiert hatte, folgte auch schon in Ausgabe 08/07 eine echte Schocknachricht: „Tom verrät zum 1. Mal: So ist Sex mit Fans! Was wirklich abgeht im Tokio Hotel…“. Der Höhepunkt jedoch folgte 8 Wochen später, Titelstory: „Bill & Tom krasse Pläne: Wir wollen zusammen sterben!“ Au weia. Dagegen wirkte Gülcans Beichte vom Mord an ihrem Wellensittich und diversen Knutschereien mit Frauen (Ausgabe 10/07) so nebensächlich wie sonst nur noch die Newsletter-Meldungen vom Kulturamt Bottrop.
Da standen sie nun also, im Frühjahr 2007, im Epizentrum der Medienlandschaft, der Feuilletons und Klatschpresse, eingekesselt zwischen ihren glühenden Anhängern und den überzeugten Gegnern der Band. Aber Bill, Tom, Georg und Gustav ließen sich nicht beirren, warfen ihr zweites Album „Zimmer 483“ auf den Markt und gingen auf Tour durch Deutschland. Am 4. November endete diese nach insgesamt 59 Auftritten in der Grugahalle in Essen. Wohl nur wenige in ihrem Alter legten einen solchen Start in die Volljährigkeit hin: Am 1. September wurden die Kaulitz-Brüder 18 Jahre alt.
Egal wie man über ihre Musik urteilte (die mindestens genauso kontrovers diskutiert wurde wie die Gruppe an sich), der Reifeprozess war unüberhörbar. Wenn sogar laut.de „chartskompatiblen Einheitsbrei“ (Quelle: laut.de) diagnostizierte und die Magdeburger praktisch in den Adelsstand des stinknormalen Mainstream-Rocks erhoben, können sie soviel nicht falsch gemacht haben – wie man auch an der ersten Auskopplung konstatieren durfte: „Übers Ende der Welt“ schoss nicht nur direkt an die Spitze der deutschen Charts, sondern zeigte zugleich, wie souverän die Teenieband mit kernigen Gitarren und dramaturgisch ausgefeilten Songverläufen umgehen konnte. Der Text? Sei mal weitestgehend unbeachtet:
„Achtung, fertig, los und lauf, vor uns bricht der Himmel auf. Wir schaffen es zusammen übers Ende dieser Welt, die hinter uns zerfällt.“
Das ist zwar irgendwie klobige Grundschulen-Lyrik, doch der Rest des Auftritts wirkt stimmig. Selbst das an „Metropolis“ angelehnte Musikvideo wirkt letztlich genauso über-inszeniert wie die meisten Songs von Tokio Hotel, aber verleiht den Jungs dennoch ein ordentliches Profil und eine gewisse Größe, die ihnen hier gut zu Gesicht steht. Man könnte auch einfach zusammenfassen: Ein guter Song.
Übrigens: Manchmal zeigen sich gewisse Hinweise über den Entwicklungsstand einer Teenieband auch anhand der Berichterstattung, wie sie eben die BRAVO beispielhaft vorführte – die Titelgeschichte über Toms und Bills „krasse Pläne“ im Frühjahr 2007 war auch die letzte über Tokio Hotel…
Aktuell: Tom ist mit Heidi Klum liiert. Im Mai und Juni war die Band auf Europa-Tournee. Und ein Hoodie „Dream Machine“ kostet 75 Euro, im Tokio Hotel-Shop.
Urteil: Gut produziertes und stimmungsvolles Alternative-Stück, das mit seiner düsteren Wirkung und den geradlinigen E-Gitarren-Einsätzen zum Besseren gehört, was 2007 an Deutschrock in die Läden kam.
Jan
Bildquelle: Universal Music