Datum | 1972 |
höchste Platzierung | 5 |
Album | Mein Autogramm |
Website | – |
KLOBIGE FROHSINNSIMPERTINENZ
„Ein Hochamt der treudeutschen Gemütlichkeit“, beschrieb der „Tagesspiegel“ einst den Titel „Fiesta Mexicana“ in einem Beitrag, um gleich darauf noch weiter auszuholen: „[Rex] Gildo erzählte von den Schlüpfern, die auf die Bühne flögen. Auch durch den selbstgeschaffenen Schleier seiner Wahrnehmung musste er irgendwann merken, dass die Leute sich über seine Lieder lustig machen. Rex Gildo stand für Hossa, Hicks und Hoppla. Eine ausgediente Ikone. Purer Trash. Es hat eine Weile gedauert, bis er es begriff.“ (Der Tagesspiegel) Veröffentlicht wurde der Kommentar des Redakteurs am 26. Oktober 1999.
Es war der dritte Tag, nachdem Gildo aus dem 2. Stock seiner Münchener Wohnung gesprungen war. Und zugleich der Tag, an dem der 63-jährige Sänger aus dem Leben schied. Ein Tag später erschien in der Berliner Tageszeitung ein Nachruf. Geisenhanslüke schrieb seitdem unter anderem für die ZEIT und brachte ein Buch über Bandscheibenvorfälle heraus – das „Hossa! Hossa!“der von ihm beschriebenen „ausgedienten Ikone“ verhallte jedoch zusehends in den VHS-Archiven der „ZDF-Hitparade“ und ist inzwischen Geschichte. Dabei steht „Fiesta Mexicana“ tatsächlich bis heute für die ganzen Wohl und Wehen, Auf- und Abstiege, Heldenverehrungen und Demütigungen rund um den gebürtigen Straubinger Ludwig Franz Hirtreiter, alias Rex Gildo. „Fiesta Mexicana“ war willkommener Segen – zugleich und vor allem jedoch ein enormer Fluch.
Sinnbildlich stand das Stück über simple Feierlichkeiten, bei denen Tequila sprudelte, sowohl für den zweiten Durchbruch, den Rex Gildo nach seinen Anfangsjahren in den 60er Jahren hingelegt hatte, aber auch für das Dilemma, Lieder wie jenes von Michael Holm geschriebene und Ralph Siegel produzierte immer wieder aufs Neue zwischen Schlagerretroparties und Baumarkteröffnungen präsentieren zu müssen. Und dieser Song – Anfang 1973 Platz 5 in Deutschland – war vermutlich neben zahlreicher Heino- und Roberto Blanco-Lustigkeiten die Frohsinnsimpertinenz schlechthin.
„Fiesta, Fiesta Mexicana. Wenn zum letzten Tanz die Gitarre erklingt. Juanita, Pepe, ja die zwei sagen noch einmal good-bye. Wir machen Fiesta, Fiesta Mexicana. Weil das bunte Leben die Liebe zu uns bringt.“
Rhythmik, Melodie, Harmoniewechsel, alles auf Kirmeszelt angepasst, forderte den Interpreten mit Gelfrisur und überschminktem Mogli-Gesicht zu kantigen Animationen und stürmischen Gesten auf der Bühne heraus. Aber Gildo war auch offensichtlich unterfordert mit dieser klobig-galoppierenden Schlagernummer, die mit Chiles en nogada, Tequila und Mariachi ungefähr soviel zu tun hatte wie altgediente „Tagesspiegel“-Redakteure mit Feingefühl.
„Fiesta Mexicana“ wurde zum Schlager aller Schlager, kultiviert auf unzähligen Compilations und Playlists müder Karaokesessions auf Twen-Geburtstagsfeiern. „Alle Freunde, sie sind hier. Feiern noch einmal mit mir. Wir machen Fiesta, Fiesta Mexicana. Weil ihr dann den Alltag, die Sorgen schnell vergesst.“
Nur hat halt jede Feier einen entscheidenden Nachteil: Sie endet. Für Gildo und dessen berühmtester Überhit im Oktober 1999.
Aktuell: Seine beeindruckende Karriere war stets auch überschattet von Depressionen und großen Selbstzweifeln. Sein Tod – ob Unfall oder Suizid – passte insofern in dieses Schema.
Urteil: Ob aller Partytauglichkeit erstickte dieses Schunkeltrauma jedes gesangliche Talent und alle Entertainerqualitäten Gildos in einem einzigen Quark anspruchsloser Ausgelassenheit, die sich lediglich in alkoholgeschwängerten Polonäsenlkulturen ertragen lässt.
Jan