Datum | 1969 |
höchste Platzierung | 5 |
Album | Mireille |
Website | http://www.mireillemathieu.com/ |
CABARETLYRIK TRIFFT AUF L’AMOUR-GESÜLZE
Dass Mireille Mathieu eine ganz besondere Verbindung zu Paris nachweisen kann, ist wohl unbestritten. Geboren wurde sie dort jedoch nicht: Die Chansonsängerin erblickte 2:40 Zugstunden entfernt von der Pariser Hauptstadt das Licht der Welt, in Avignon. Als jüngstes von 14 Kindern wuchs sie unter sozial schwierigen Umständen auf, der ehemalige Staatspräsident Charles de Gaulle übernahm die Patenschaft für die Tochter eines Friedhofs-Steinmetzen. Am 16. März 1965 bestieg die 19-Jährige die Bahn nach Paris – eben hier sollte der endgültge Startschuss für eine beispiellose Weltkarriere fallen. Das televisionäre Sprungbrett trug den Namen „Télé Dimanche“, eine seit nunmehr sechs Jahren regelmäßig auf dem französischen TV-Kanal RTF ausgestrahlte Unterhaltungssendung, in der zahlreiche Prominente auftraten. Eben hierhin zog es Mathieu, angetrieben vom ungeheuren Ehrgeiz, das Publikum von ihrer charismatischen Stimme zu überzeugen.
Acht Monate später sollte es ihr schließlich gelingen: Beim Gesangswettbewerb „Le Jeu de la Chance“ coverte sie den Edith Piaf-Klassiker „Jézabel“ und gewann, zusammen mit Georgette Lemaire. Ende des Jahres war sie schließlich regelmäßig im Olympia-Theater zu bewundern, als Vorprogramm von Sacha Distel und Dionne Warwick. Paris hatte das hübsche Mädchen mit der schwarzen Atompilzfrisur und den stark konturierten Augen endgültig in seine Arme geschlossen. Für Christian Bruhn, Evergreen-Experte und Mainstreamschlager-Koch, dürfte auch diese Tatsache eine große Rolle bei der Wahl des ersten deutschsprachigen Songs für die Sängerin gewesen sein. Man traf sich im Studio, Mathieu konnte kaum ein deutsches Wort flüssig sprechen, aber drei Stunden später waren alle begeistert: Komponist, Manager, Interpretin. Zu Recht?
Immerhin, die Mathieu zieht alle Register, um aus der textlichen Klischeepolonäse eine ganz anständige Showrevuenummer zu konstruieren, die auch im Berliner „Wintergarten“ in Schöneberg beim Westberliner Bourgeois-Publikum wohlgesinnten Anklang finden würde. „Hinter den Kulissen von Paris, ist das Leben noch einmal so süß. Kein Fremder kann es sehen, darum ist sie so schön.“ Überzeugen kann hier sicher nicht die ziemlich billige Cabaretlyrik, die das übliche L’Amour-Gesülze zusammenträgt – aber dafür die ausdrucksstarke und mit viel Wehmut gefütterte Stimmgewalt der französischen Sängerin. Diese trägt dazu den deutschen Text derart geschliffen und akzentarm vor, dass man ehrfürchtig den Hut vor ihrer beeindruckenden Sprachbegabung ziehen muss.
„Hinter den Kulissen von Paris“ erreichte im Frühsommer 1969 den 5. Platz der deutschen Charts – der erste Top-10-Erfolg von Mathieu. Aber da war sie ja auch schon längst im begehrten Paris sesshaft geworden…
Aktuell: Für 2020 sind mehrere Konzerte geplant, u. a. in Budapest und Prag.
Urteil: Wenngleich der Bruhnsche Einfluss unüberhörbar ist, fehlt es dem Lied keineswegs an luftig leichter Vitalität und einem durchaus schönen Refrain. Alles sehr Pomp-lastig und etwas zu stark an eine Webber-Musical-Einlage erinnernd, aber Mathieu zeigt sich in bester Gesangslaune.
Jan