Datum | 1987 |
höchste Platzierung | 2 |
Album | Bridge Of Spies |
Website | http://www.tpau.co.uk/ |
FRANKENSTEINS POPNOVELLE
Keine Frage, fernab der zumeist offenkundigen Oberflächlichkeit, die hinter den meisten Songtexten steht, gibt es hier und da mal auch eine Ausnahme. Ein Beispiel hierfür liefert die britische Popband T’Pau um die Sängerin Carol Decker. Gerade hatte die Gruppe mit „Heart And Soul“ einen powervollen wie erfolgreichen Auftakt für eine vielversprechende Karriere an den Tag gelegt, lieferte sie rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 1987 eine ebenso dynamische wie überaus melodische Ballade. Aber statt die Zuhörer mit den üblichen Dreigroschenlyrics zu nerven und irgendwas zwischen schmerzvoller Trennungsverarbeitung und herzzerreißendem Sehnsuchtsschmalz anzubieten, stolpert vor allem der gemeine Musikjournalist über eine fragwürdige Verkettung von Allegorien und Zitaten, die aus diesem eigentlich stinknormalen Popsong einen stinknormalen Popsong mit merkwürdigem Text macht.
Wer beispielsweise bei Zeilen wie diesen kleinlaut zugeben muss, er hätte den Sinn womöglich nicht verstanden, dürfte nicht allein damit sein: „Oh hands move and heart beat on. Now life will return in this electric storm. A prophecy for a fantasy, the curse of a vivid mind…“ Oder gleichermaßen rätselhaft: „It was a flight on the wings, of a young girl’s dreams. That flew too far away and we could make the monster live again.“ Grundlage dieser lyrischen Raffinesse bildet allerdings – so wird kolportiert – die berühmteste Novelle der britischen Autorin Mary Shelley, geborene Mary Godwin, „Frankenstein or The Modern Prometheus“ von 1818. In jenem Buch wird erzählt, wie der italienische Naturwissenschaftler Victor Frankenstein ein Monster zum Leben erweckt, das angesichts der menschlichen Feindseligkeit, die ihn umgibt, sein naives Wesen zugunsten der Rachlust an seinem Schöpfer aufgibt und dadurch unkontrollierbar wird. Und an dieser Stelle darf wild interpretiert werden:
Geht es im Songtext darum, dass man darauf achtgeben sollte, die Erfüllung seiner Wünsche nicht zu weit zu treiben, weil sonst diese wie „Porzellan in deiner Hand“ zerbrechen könnten? Offenbart sich hier – wie das farblich bunt gestaltete Musikvideo vermuten lässt – eine subtile Umschreibung eines Beziehungskonflikts, den auch Victor mit seiner erbauten Kreatur durchstehen musste? Oder wird an dieser Stelle der Text eines stinknormalen Popsongs schlichtweg überinterpretiert? Man könnte an dieser Stelle auch den großen Mysteriumsexperten der Regiezunft, David Lynch, zitieren, der einst sagte: „Ich will nicht zu viele Worte darüber verlieren – wenn man nicht gerade ein Dichter ist, werden die Dinge oft kleiner, wenn man über sie spricht.“
Zumindest eindeutig war der weitere Karriereverlauf von T’Pau nach „China In Your Hand“ (Platz 1 in Großbritannien): Abwärts. 1988 sollte das dritte Album „Rage“ bereits zum großen Flop mutieren, danach verwaltete man hauptsächlich die einzigen beiden Single-Erfolge. Immerhin: Etwas zum Nachdenken hat man den einstigen Fans mitgegeben. Auch so kann man sich seinen Eintrag in der Popgeschichte sichern…
Aktuell: T’Pau brachten zuletzt „The Virgin Anthology“ auf den Markt, Carol Decker ihre Autobiographie.
Urteil: Wie schon der Vorgänger eine ansprechende und vor allem dank Carol Decker wuchtige Powerballade, von denen es zu jener Zeit, in der zweiten Hälfte der 80er, nicht viele gab.
Jan
Das Gezupfe in der Strophe erinnerte mich gleich an Enya „Sail away“ aber das war erst ein Jahr später – hab ich ein Plagiat aufgedeckt??? (;-)
Du meinst „Orinoco Flow“? Stimmt, gut erkannt!;-)