Datum 1965
höchste Platzierung 10
Album
Website http://www.peppinodicapri.net/

CHARMANT VORGETRAGENES SEHNSUCHTSSTÄNDCHEN

Mit der überdimensioniert großen Brille, der braven Topfschnittfrisur und dem leicht zerstreut wirkenden Lächeln sieht der Junge aus wie eine Mischung aus Ministrant und IT-Werkstudent. Und vielleicht wäre er glatt als die wattebauschene Variante des etwa gleichaltrigen Mailänders Adriano Celentano durchgegangen, hätte er sich nicht nach einer Zeit der vornehmlich rockigen Produktionen auf den deutschen Markt konzentriert und diesen mit Jukebox-Konfektionsware à la „St. Tropez Twist“ oder „Nur ein Souvenir“ überspült. Aber Peppino, dessen selbst gewählter Nachname di Capri schon die ganze Stereotypie italienischer Inselromantik in sich vereinigt, blieb seiner Heimat stets treu: Hier veröffentlichte er in den 60er Jahren auch große Folklorestücke wie „Nessuno Al Mondo“, Voce É Notte“ oder „Roberta“ und seine regelmäßige Teilnahme am berühmten San-Remo-Festival (allein 15 Mal seit 1967) offenbarte unzweifelhaft die konsequente Rückkehr hin zu seiner italienischen Identität, die sich auch an der baldigen Verweigerung jeglicher weiteren Exportschlager zeigen sollte. „Melancholie“ war womöglich nicht der letzte deutsch eingesungene Titel, aber definitiv der letzte, welcher sich hierzulande verkaufen konnte.

Der größte Sänger seines Genres war di Capri wohl nie, und auch eben jene „Melancholie“ fördert diese Erkenntnis unmittelbar zu Tage. Dafür vermochte der Mittzwanziger jedoch Gefühl und gesangliche Präzision zu investieren, was dem Lied zu einer recht ordentlichen Wirkung verhilft: Wenngleich der Text auf Deutsch zwar fürchterlich fantasielos anmutet – „Melancholie im September, das ist alles was mir blieb von dir, die Melodie im September, ist ein letzter Gruss von mir“ -, entpuppt sich der Song im italienischen Original und dank der hübschen Moll-Dur-Wechsel in Strophe und Refrain als hübsches Stückchen aus der Kategorie „Wehleidigkeitshymne“. So darf ein Lied mit dem Titel „Melancholie“ aber auch klingen. Die angedeuteten Gitarrentremolos und der schlurfende Takt versetzen den Zuhörer stimmungsmäßig in die Notte Bianca, jener „weißen Nacht“ im September, in der Neapel bis in die frühen Morgenstunden mit Festen und Veranstaltungen die Nacht zum Tage macht und der gedankenverlorene Sänger inmitten des belebten Publikumstroms und in Erinnerung an seine einstige Geliebte einsam seinen Weg heimwärts sucht. Auch so könnte sich „Melancholie im September“ anhören.

Heute ist der Mann in Würde ergraut, sieht allemal besser aus als zu seinen Twen-Zeiten und unterhält sein Publikum noch immer mit gemütlichen Chansons im Stile der San Remo-Tradition.

Aktuell: Auch mit über 80 bleibt Di Capri seiner Musikkarriere treu. 2015 veröffentlichte er sein Album „L’Acchiappasogni“.

Urteil: Nicht ohne Charme vorgetragenes Sehnsuchtsständchen, das es keiner deutschen Übersetzung bedurft hätte. „Melancholie“ passt perfekt zu dem italienischen Jüngling der 60er Jahre.

Jan

Peppino di Capri – Melancholie

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