Datum | 1973 |
höchste Platzierung | 1 |
Album | Mama Loo |
Website | – |
GOSPELKITSCHMOUSSE FÜR POSTHIPPIES
Wenn man Dunja Rajter, deutsch-kroatische Sängerin und Schauspielerin, nach ihrer Ehe mit dem britischen Popmusiker Les Humphries befragt, kann man davon ausgehen, dass sich während des Interviews ihre Mimik innerhalb kürzester Zeit verdüstert und ein leicht angsterfülltes Zucken in ihrem Gesicht zu bemerken ist. Zu furchtbar sind die Erinnerungen an eines der offenbar misanthropischsten Geschöpfe in der Popmusik der 70er Jahre. Alkolismus, Drogenmissbrauch, eine maßlose Cholerik und überhaupt jede Menge Verhaltensauffälligkeiten im Umgang mit seinen lange Zeit willfährigen Chorsklaven, die der Londoner um sich herum scharrte, waren kennzeichnend für den Bandleader der Les Humphries Singers.
Es lief 1973 richtig gut für die Gospeltruppe: Gerade hatte sie mit „Mexico“ einen ordentlichen 2. Platz in den deutschen Singlecharts erzielt und die nächste hunderttägige Tournee (Titel: „Sound Of ’73“) stand unmittelbar bevor. Zwar gab es ein paar personelle Probleme zu bewältigen, doch das war für Humphries inzwischen Routine, schließlich ertrugen nicht viele seiner Crewmitglieder das diktatorische Auftreten des Chefs sowie die exzessiven Gelagen auf den diversen Aftershow-Parties wirklich lange, ohne sich nicht dabei ernsthafte gesundheitliche Schädigungen zuzuziehen. Umso angenehmer war es womöglich für Humphries zu wissen, dass immer irgendjemand auf einen anderen folgte. Und so erschien 1973 beispielsweise auch eine gewisse Linda Uebelherr auf der Bildfläche, die später mit Silver Convention zu einem echten Hitparadenstürmer wurde.
Sie war auch an dem ultimativen „Monsterwurf“ der Humphries-Sänger gesanglich beteiligt – mutmaßlich, denn ob wirklich jeder auf den Platten und Bühnen gleichermaßen mitgesungen hatte, durfte zuweilen bezweifelt werden. „Mama Loo“ wurde der erste Nummer-1-Hit, ein „explosive(s) Gemisch aus Flanger-Drums und Honkytonk-Piano“ (Lothar Berndorff, Tobias Friedrich: „1000 ultimative Charthits“, S. 240) und eine kaum zu überhörende Nachahmung des Beach-Boys-Klassikers „Barbara Ann“.
Gewissermaßen ist der Song eine Art Gospelkitschmousse für die Posthippie-Bewegung, mit dem ganzen tranigen Chorgeschwurbel sowie dem dramatisch aufgemotzten Sologesang, das solch amüsante Stilblüten hervorbringt wie: „Mama Loo, Mama Loo, You’ve got lots to do, Mama Loo, She’s Gonna Go Far, Got a hot red car, Mama Loo.“ Das liest sich aus dem musikalischen Arrangement heraus gerissen zugegebenermaßen nochmal besonders grässlich. Abgesehen davon ist der gesamte Hit öde zusammengeschusterte Spiritual-Konfektionsware, viel zu routiniert und aufgesetzt vorgetragen. Und wer jetzt genau Mama Loo sein soll, wird auch nicht aufgeklärt: ein anderer Name für die Mutter Jesus‘ Maria vielleicht? Ein Spitzname für Mutter Theresa? Oder für eine fiktive Person, die auf PS-starke rote Flitzer abfährt?
Wahrscheinlich ist die Antwort auch unerheblich, die Nummer setzte sich im März 1973 auf Platz 1 fest, drei Wochen lang, nur einmal unterbrochen von The Sweet mit „Block Buster!“. In jenem Monat, als die letzten US-amerikanischen Truppen Vietnam verließen und damit der Krieg offiziell beendet war. Nur wenige Tage, bevor Pablo Picasso im französischen Mougins verstarb. Und in einem der vielen Monate, in dem Les Humphries mal wieder seine rigide Personalpolitik durchzog…
Aktuell: Les Humphries schied im Jahr 2007 vereinsamt aus dem Leben, die Les Humphries Singers touren jedoch weiter durch die Dörfer, übrigens auch gelegentlich mit dem nimmermüden König von Mallorca Jürgen Drews. Wer sie noch vermisst haben wird…?
Urteil: Schnödes, furchtbar nichtssagendes Gospelgetöse, das Standardmelodien mit Standardgesängen verknüpft. Kann live aber womöglich noch funktionieren.
Jan
Aus heutiger Sicht kann man solche Songs immer schön runtermachen. Und sicher hat Les Humphries hier sehr geschickt Neil Diamonds „Cherry Cherry“ mit „Barbara Ann“ von den Beach Boys gekreuzt. Aber es war eigentlich egal, was sein Chor gesungen hat, es ging in erster Linie um die Ausstrahlung der Truppe. Die Singers traten im TV an als erste multikulturelle Gesangsgemeinschaft, in der jeder alles sein konnte und alle hatten miteinander Spaß.
Anders als normalen Chören trugen sie keine Uniform und durften sich nach Lust und Laune bewegen. Das machte die Faszination aus. Hier konnte jeder in Gedanken mitmachen.
Dass es hinter den Kulissen etwas anders aussah, konnte damals keiner ahnen, selbst die oben zitierte Dunja Raiter ist darauf reingefallen. Der Song klingt aber auch heute noch sehr lebendig, alles andere als „schnödes Gospelgetöse“.