Datum 2003
höchste Platzierung 5
Album Fallen
Website http://evanescence.com/

PIANODURCHTRĂ„NKTER WELTSCHMERZ

Ăśberraschung, gepaart mit BestĂĽrzung – das waren wohl die zu erwartenden Reaktionen der Fans von Evanenscence auf den plötzlichen Ausstieg von Ben Moody, Leadgitarrist und kreativer Kopf neben Amy Lee. Aber gerade die Beziehung zu der Sängerin gestaltete sich bereits seit einigen Monaten immer schwieriger, die Konflikte wurden nahezu unĂĽberwindbar. „We had such opposing desires and personalities“, schrieb Moody auf einer Evanescence-Fanseite im Jahr 2010, wie das Magazin „Spin News“ berichtete, „that mixed with the pride of youth and inexperience (…) led to an all out war.“ Kurzum: Man hatte schlichtweg genug voneinander. Die gegenseitigen Anfeindungen mussten während der Tour 2003 durch die USA derart eskaliert sein, dass Moody schlieĂźlich vor den Auftritten in Europa kurzerhand seine Sachen zusammenpackte, dem Tourbus entstieg und nach Hause fuhr. Amy Lee war nun mit der Band allein – und spielte trotzdem weiter. Die Beziehung zum recht raubeinigen Moody, sowohl privat als auch musikalisch, war am Ende, Evanescence feierten dennoch parallel groĂźe Erfolge in den Hitparaden.

Das Album „Fallen“ war bereits im März 2003 herausgekommen, hielt sich dennoch beharrlich in sämtlichen internationalen Charts: In den USA verblieb die Platte phänomenale 111 Wochen im Billboard-Ranking, in GroĂźbritannien und Deutschland waren es immerhin ĂĽber 70 Wochen. Die DebĂĽtsingle „Bring Me To Life“ hatte genauso fĂĽr Furore gesorgt wie „My Immortal“, eine pianodurchtränkte Nu-Metal-Ballade, deren Weltschmerzcharakter nahezu prophetischen Charme im Hinblick auf den nahezu zeitgleich zur Veröffentlichung sich abspielenden Rosenkrieg zwischen Lee und Moody hatte. Im Video sieht man Lee häufig liegend in der geschichtsträchtigen wie kĂĽhl fotografierten Kulisse des Stadtviertels Barri Gòtic in Barcelona, sie singt irgendwas von Trennung und Tod oder beidem: „These wounds won’t seem to heal, this pain is just too real
There’s just too much that time cannot erase.“ Die Dreharbeiten fanden eine Woche vor dem plötzlichen Verschwinden Moodys statt  – geahnt hatte zu diesem Zeitpunkt niemand etwas, auch nicht Amy Lee.

Abgesehen von der ganzen dramatischen Soap-Geschichte, die sich im Hintergrund zwischen den Konzerten in Seattle und Lissabon im Oktober 2003 abspielte, gelang Evanescence mit „My Immortal“ ein respektabler Wurf: gefällige Pianohook, dramatisch intonierter Gesang und ein metalrockiger Zwischenpart, der dem gesamten Lied eine Spur Tiefe verlieh. Spätestens jetzt hatten die US-amerikanischen Alternative-Rocker ihren Platz inmitten der Establishment-Metaler und Balladenprofis von Nightwish, Within Temptation und Him gefunden.

Und wie sich fortan zeigen sollte: Es lief auch problemlos ohne den Deserteur Ben Moody, dessen Nachfolgeband „We Are The Fallen“ nicht nur magere Verkaufszahlen vorwies, sondern zudem aufgrund der frappierenden Ă„hnlichkeit zum Evanescence-Sound heftige Kritik einstecken musste. Schade um sein Genie…

Aktuell: 2018 kam die neue Single „Hi-Lo“ mit Lindsey Sterling heraus, dazu eine DVD. In diesem Jahr gibt es eine kleine Tour.

Urteil: Behutsam instrumentierte Ballade, melodisch und mit einem dunklen-melancholischen Unterton, der auch auf jedem Soundtrack eines David-Lynch-Films seinen Platz gefunden hätte.

Jan

Evanescence – My Immortal
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