Datum 2000
höchste Platzierung 5
Album The Power
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FRÜHGYMNASTIK MIT DER BRITNEY-KOPIE

Natürlich waren es „die besten Spiele aller Zeiten“, wie Antonio Samaranch, der scheidende Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), verlautbaren ließ. Natürlich waren Eröffnungs- und Schlussfeier die glanzvollsten, welche die Welt je gesehen hat. Und natürlich wurden die Spiele von so vielen Menschen wie noch nie verfolgt (3,7 Milliarden). Aber in der heutigen Nachbetrachtung waren diese Eindrücke und Werte auch durchaus berechtigt, denn die Olympischen Sommerspiele 2000 in Sydney gelten bis heute als eine der gelungensten überhaupt: Sympathisch, euphorisch, professionell präsentierte sich der australische Gastgeber mit tollen Wettbewerben und bravoröser Organisation. Und es gab diese besonderen Geschichten, beispielsweise von Éric Moussambani, der über eine Wildcard an den Schwimm-Wettbewerben teilnehmen durfte, im Vorlauf für den 100 m Freistil eine Zeit von 1:52,72 Minuten benötigte, damit 64 Sekunden über dem Weltrekord blieb und bis heute als schlechtester Schwimmer bei Olympia überhaupt gilt. Es hieß, er hätte erst 8 Monate vor den Spielen diese Disziplin erlernt. Oder vom US-Amerikaner Harry Prieste, der im Alter von 103 Jahren die 1920 während der Olympischen Sommerspiele in Antwerpen erstmals gehisste olympische Flagge in Australien offiziell zurückgab, nachdem er sie 80 Jahre zuvor nach seiner Bronzemedaille im Turmspringen und infolge einer Mutprobe von einem Mast heruntergeholt hatte. Oder von der Australierin, die dank ihrer Auftritte während der Eröffnungs- und Schlussfeier mit einem fröhlichen Allerwelts-Hit zu großer Berühmtheit gelangte. Ihr Name: Vanessa Amorosi.

Es war ein regelrechter Sprint aus dem Nichts in die Goldränge der internationalen Airplay-Charts und auf die oberen Plätze der Verkaufs-Hitparaden (Platz 5 in Deutschland, Platz 7 in Großbritannien, Platz 6 in Australien) mit „Absolutely Everybody“. Zuvor hatte die 1981 in Melbourne gebürtige Sängerin bereits mit ihrer Debüt-Single „Have A Look“ auf sich aufmerksam gemacht und in ihrer Heimat Gold erreicht. Die beiden Single-Erfolge sowie der Auftritt in Sydney vor einem Milliarden-Publikum befeuerte dann auch schließlich den Verkauf des Albums „The Power“. Gesanglich dünner, wenngleich ähnlich soulgeladen wie Anastacia reiht sie ödere („The Power“) und bessere („Turn To Me“) Dance-Tracks, Gelantine-Balladen wie „Everytime I Close My Eyes“ und Britney-Spears-Pop wie „How Y´ Livin´“ aneinander – fiel gerade der Name Britney? Beide 1981 geboren, beide anfangs mit lolita-gleichen Rehaugen und Ponyfrisur, starteten nahezu zeitgleich ihre jeweilige Laufbahn. Kombiniere: Vergleich angemessen.

Aber während Britney noch ein paar Image-Konvertierungen durchexerzierte und ihre Welterfolge periodisch fortführen konnte, feierte Amorosi hauptsächlich in Australien weiter. Vielleicht ist ein Titel wie „Absolutely Everybody“ der perfekte Song für aufgeblähte Choreografien und bunte Bühnendekorationen, für Frühgymnastikmelodien und „Wir-sind-alle-gleich“-Pathos („We´re no different, we´re all the same, players in the game“), aber um als australische Songwriterin in die ewigen Annalen der Popgeschichte einzugehen, braucht es wohl doch ein tiefgründigeres und nachhaltigeres Repertoire. Oder spannende Hochzeits-, Sex- und Absturzgeschichten wie jene über Britney. Vergleich abgeschlossen.

Aber letztere Art von News in der Boulevardpresse wünschen wir der Melbournerin natürlich nicht, schließlich könnte ja Australien irgendwann im Laufe der nächsten Jahrzehnte wieder mal die Olympischen Spiele ausrichten, und eine Sängerin für die Eröffnungs- und Abschlussfeier mit mehr als 1 Milliarde Zuschauer gesucht werden. Und anders als Britney hätte Vanessa Amorosi diese gewaltige Feuerprobe auf jeden Fall schon mal bestanden.

Aktuell (2017): Ihre neueste Single „Heavy Lies The Head“ wurde eher mäßig wahrgenommen.

Urteil: „Absolutely Everybody“ wird zugeben müssen: Fürs Stadion super, als Soundkulisse im Wohnzimmer während des Mittagessens oder Kind windeln anstrengend. Mehr als olympiataugliche Ohrwurmqualität ist hier nicht auszumachen. Medaillenränge deutlich verpasst.

Jan

Vanessa Amorosi – Absolutely Everybody

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