Datum 1973
höchste Platzierung 6
Album Und das Meer singt dein Lied
Website http://www.julioiglesias.com

KNÖDLIG-BRÖSELIGER RETORTENSCHLAGER

Die Zahlen sind beeindruckend: über 300 Millionen verkaufte Tonträger, mehr als 2600 Platin- und goldene Schallplatten, über 5000 Konzerte weltweit – Eintrag im Guinness Buch der Rekorde, kurz: eine beispiellose Karriere. Lange bevor sich charismabefreite Schmalspurinterpreten wie Ricky Martin oder Shakira zu energischen Repräsentanten des Latin Pop aufschwangen, beherrschte der charmante Madrilene den internationalen Musikmarkt sowie die gesamte entzückte Weiblichkeit der Weltkugel nach Belieben. Der Mann war vor allem während der Hochzeit seiner Laufbahn die pure Unverschämtheit für jeden Berufsplayboy, der nicht ansatzweise an die umwerfende Eleganz und Verführungskraft dieses verdammt großartig aussehenden Kavaliers heranreichte.

Und singen konnte er – empathisch, leidenschaftlich, in ca. 172 Sprachen inklusive aller regionalen Dialekte, mit einem Schmand in der Stimme, dass den verzauberten Hörerinnen die Büstenhalter von selber aufsprangen, wenn sie auf seinen Konzerten Lieder wie „Un canto a galicia“, „Quiereme Mucho“ oder „Por una mujer“ vernahmen.

Dabei hatte auf Iglesias bereits eine lupenreine Fußballerkarriere gewartet, in der Junioren-Nationalmannschaft von Real Madrid avancierte er zum großen Hoffnungsträger, bis ein Autounfall alle Träume in dieser Hinsicht beendete. 1969 erschien seine erste Platte, 1970 vertrat er Spanien beim Grand Prix d’Eurovision und erreichte den vierten Platz. Im selben Jahr stellte er in seiner Heimat den ersten von einigen Rekorden auf: Innerhalb von 30 Tagen gab er 41 Konzerte in 41 Städten. Heute ist Iglesias der weltweit erfolgreichste spanischsprachige Künstler – es war ein weiterer Eintrag im Guinness Buch.

Da er mit einer beeindruckenden Multilingualität gesegnet war, ließen auch die ersten Beiträge auf Deutsch nicht lange auf sich warten: „Und das Meer singt dein Lied“, „Du in deiner Welt“, „Alle Liebe dieser Erde“, „Ich schick‘ dir eine weiße Wolke“ – diese Ansammlung zutiefst anrühriger Schmonzetten hätte wohl auch problemlos auf einem Ariola-Sampler mit dem Titel „Die fadesten Herzschmerz-Melodien der 70er Jahre“ ihren Platz finden können. „Wenn ein Schiff vorüberfährt“ schippert entsprechend auch nur müde entlang der inzwischen plattgeheulten Seemanns-Sehnsuchts-Schlagerhistorie in Deutschland. Einzig diese bröselige, fast ins Weinerliche abgleitende Stimme von Iglesias schafft fast einen kuscheligen Romantikeffekt, doch der Rest? Der Text? „Wenn ein Schiff vorüberfährt, fährt mit ihm die Sehnsucht. Wenn ein Schiff vorüberfährt, reist mein Herz zu dir.“ Knödlige Liebeslyrik aus dem Winterschlussverkauf mit gesummtem „Z“ und heulenden Streichersirenen im Hintergrund.

„I don’t want anyone to hide my voice in 20 years and put the orchestra they want in. I don’t want anyone to do dirty tricks with my music. I want to do it myself.“ Mit diesen Worten machte Iglesias im Rahmen eines Interviews aus dem Jahr 2013 deutlich, dass der Spanier womöglich auch nur ein Schlagerinterpret unter vielen war, die sich Liederauswahl und Produktionen von halsabschneiderischen Plattenfirmen und gierigen Produzenten aufzwängen lassen mussten. Ein Schnulzen-Sänger unter vielen. Vielleicht – aber dafür ein besonders hübscher…

Aktuell: Der über 70-Jährige lässt nicht von der Bühne ab, und präsentiert sich mit vereinzelten Konzerten unter anderem in den USA sowie in Spanien. Unermüdlich, diese Playboys…

Urteil: Retortenschlager mit ziemlich dick aufgetragenem Gesang. Generell mit hübscher Melodik, aber leider allzu gewöhnlich und weit weg von jeglichem Latino-Charme.

Jan

 

Julio Iglesias – Wenn ein Schiff vorüberfährt
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