Datum | 1984 |
höchste Platzierung | 1 |
Album | Lost Boys |
Website | http://www.pickets.co.uk/ |
TRÄGE-TRANIGES WACHSFIGURENSTÜCK
Ein Leben für die Politik – so lautete offenbar das Credo der langjährigen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, wenn man den wenigen (privaten) Geschichten, die über sie kursieren, Glauben schenken darf. Selbst während der Flitterwochen widmete sie sich offenbar den Amtsgeschäften. Ihre Kinder bekam sie kaum zu Gesicht, die Ehe stand mehrfach vor dem Aus – ebenfalls aufgrund der beruflichen Überbelastung. Immerhin, so viel war bereits zu Lebzeiten bekannt, die erzkonservative Landesherrin, die zwischen 1979 und 1990 das Vereinigte Königreich mit rigider Hand regierte, hatte für die Populärmusik nicht viel übrig. Und die gesamte britische Musikszene auch nicht besonders viel für sie, zahlreiche Anti-Thatcher-Songs wurden ab Anfang der 80er Jahre veröffentlicht. Nur eine recht unbekannte A-Cappella-Formation mit einem ehemaligen Stahlarbeiter und Schornsteinfeger als Leadsänger musste das Stigma auf sich nehmen, eines der absoluten Lieblingslieder der „Eisernen Lady“ kreiert zu haben: „Only You“. Und das passierte ausgerechnet einer Gruppe voller radikaler Sozialisten.
The Flying Pickets bestanden ursprünglich aus Theaterschauspielern, die sich mit A-cappella-Gesang die Busfahrten von Auftritt zu Auftritt vertrieben. Man hatte Spaß daran und fand sich nun öfter zusammen, um auf Bühnen ein paar Stücke zu präsentieren. Eine Liveplatte des Sextetts verkaufte sich 1983 derart gut, dass Virgin Records kurzerhand zugriff – und einen Plattenvertrag anbot. Fortan knödelten sich die „mobilen Streikposten“ um Leadsänger Brian Hibbard durch die Popmusikgeschichte: „Only The Lonely“ (1985), „Take My Breath Away“ (1986), „Englishman in New York“ (1991) und „Under The Bridge“ (1994) wurden „ent-instrumentiert“ und im Stile brav-biederer Knabenchor-Übungseinheiten, kurz nach Veröffentlichung der Originalversionen, gecovert. So auch „Only You“ (oder „Si no estás“ oder „Nur dein Clown“(!) auf spanisch und deutsch): Ursprünglich vom New-Wave-Duo Yazoo rausgebracht, kredenzten nun die Flying Pickets ein flauschiges A-cappella-Stückchen daraus.
Die Hingabe zum und Ehrfurcht vor dem Titel ist durchaus heraushörbar, der Song bleibt mit seinem immer wiederkehrenden „Badadadum, Badadadum, Badadadum, Badadadum“ dauerhaft im Gedächtnis kleben. Handwerklich perfekt, stimmlich ansprechend, springt der Funke dennoch nicht über: Das etwas zu hallbetonte Arrangement langweilt nach kurzer Zeit, die bedröppelten Gesichter der ein wenig wie Puppen aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett wirkenden Beitragenden sind ermüdend. Da sind die kullernden Synthispielereien von Yazoo und Alison Moyet irgendwie stringenter.
Aber immerhin, es gibt auch einen tröstlichen Aspekt – denn die Flying Pickets teilen sich das Schicksal, eines der Lieblingslieder von Margaret Thatcher geschrieben zu haben, mit einer anderen Interpretin, der britischen Sängerin Lita Roza. Deren Nummer-1-Erfolg aus dem Jahre 1953 „(How Much Is) That Doggie In The Window?“ gehörte ebenfalls zu den favorisierten Klassikern der Eisernen Lady. Während von den Pickets kein Statement überliefert ist, meinte Roza zu dieser Tatsache nur lakonisch: „Irgendetwas muss sie ja mögen…“.
Aktuell: In komplett neuer Besetzung touren die Flying Pickets auch weiterhin durch die britischen Provinzen. „Strike Again“ heißt das aktuelle Album der Truppe.
Urteil: Träge-traniger Yazoo-Aufguss, der mit dem nasalen Leadgesang überzeugt, aber sonst weitestgehend stimmungsarm bleibt.
Jan