Datum | 1968 |
höchste Platzierung | 7 |
Album | Small Faces |
Website | http://www.thesmallfaces.com/ |
BRACHIAL DONNERNDES WIE SCHEPPERNDES GENIEWERK
Die kurze, aber extrem erfolgreiche Karriere der Small Faces begann und endete kurioserweise mit zerstörten Instrumenten. Am Anfang, 1964, musste ein Klavier daran glauben, als Steve Marriott jene Kneipe in London betrat, in welcher Ronnie Lane und Kenny Jones als The Outcasts aufgetreten sind. Das Duo sowie Marriott bekamen in der Kneipe Hausverbot, kurz darauf gründeten sie zusammen mit dem Keyboarder Jimmy Langwith die Small Faces. Am Silvesterabend 1968 zum Abschluss eines Konzertes ließ erneut Marriott seiner Zerstörungswut freien Lauf, trat seine Gitarre kurz und klein, stürmte von der Bühne und beendete auf diese Art die Geschichte seiner Band. Dazwischen lagen jedoch Jahre, die der extrovertierte Sänger ganz lakonisch zusammenfasste: „Ich begreife nicht, was der ganze Rummel soll. Ich meine, wenn ich einen 1,60 m großen, pickligen Degenerierten sehen würde, dann würde ich nicht ausflippen.“ (Zitat aus: „Rock Rough Guide“, Hrsg. Jonathan Buckley und Mark Ellingham)
Das taten jedoch die Fans und die Kritiker, die schon früh das gewaltige Potenzial der allesamt kleingewachsenen Musiker (sie waren alle tatsächlich kleiner als 1,60 m und kamen deshalb zum Namen „Small Faces“) erkannt und deshalb innerhalb kurzer Zeit sogar zur besten Band Großbritanniens gekürt hatten. Nachdem das erste Album 1967 zwar „nur“ eine Live-Platte war, jedoch bald mit positiven Rezensionen überschüttet und der Druck auf die vier angesichts der explodierenden Popularität immer größer wurde, entschloss man sich zum Wechsel des Labels: von Decca ging es zu Immediate. Auf diese Weise entledigten sie sich auch ihres früheren Managers Don Arden, der den Small Faces offensichtlich immer öfter vorschreiben wollte, wie sich Marriott & Co. in der Öffentlichkeit zu präsentieren hatten. Stattdessen konnten sie sich für die zweite Platte, die ebenfalls nach ihrem Bandnamen betitelt werden sollte, deutlich mehr Freiheiten herausnehmen.
Und so begannen sie im Studio zu experimentieren, mit Bläsern, Percussions und allerlei weiteren Instrumenten, die gerade verfügbar waren und eingesetzt werden konnten. Heraus kam „Tin Soldier“, eine sich hemmungslos steigernde Klangorgie, ausgehend von einer dezenten Hammond-Orgel zu Anfang und schließlich in wildes, ausuferndes wie „schepperndes Gerassel“ (Andrew Jeffries in „Rock Rough Guide“, S. 727) mündend. Explodierende Gesangsekstasen kreisen um das eingängige Lyrics-Thema: „I got to know that I belong to you!“ Irgendwo mittendrin quietschende Gitarren und eine mehrfach gefolterte Orgel mit aufwühlendem Akkordstakkato. Kaum verwunderlich, dass die Rundfunkanstalten hier einen Skandal witterten, da sie aus den letzten Zeilen „Someone to give me satisfaction, all I want to do is stick with you“ etwas mit „sleep with you“ herauszuhören glaubten – und den Song ungern in die Rotation aufnahmen. Egal, es wurde ein Hit: Immerhin Platz 9 in Großbritannien und der erste Top 10-Hit in Deutschland.
Irgendwo zwischen The Who und den Rolling Stones hatten die Small Faces ihren Platz inmitten der britischen Rocklandschaft der 60er Jahre gefunden: dynamisch, laut, innovativ. „Tin Soldier“ wurde zu einem der besten und markantesten Songs dieser Band. Auch wenn einige Instrumente hin und wieder schwer leiden mussten…
Aktuell: Die Small Faces existierten nur knapp vier Jahre. Steve Marriott verstarb 1991 im Alter von 44 Jahren bei einem Brand aufgrund einer nicht gelöschten Zigarette, Ronnie Lane sechs Jahre später an den Folgen einer Lungenentzündung.
Urteil: Brachiales, krachendes Geniewerk, mit einem donnernden Arrangement, das zum Besten jener Jahre gehört. Hier ist wirklich keine Sekunde verschwendet.
Jan
Kann das Urteil voll unterschreiben. Ich saß damals bei Nachbarn auf einem Küchenhocker und schaute Beatclub (wir hatten selbst keinen TV). „Tin Soldier“ wurde geboten. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Steve Marriott, der seine Gitarre längs seines Körpers hängte, wenn sie nicht auf Höhe der Knie baumelte. Mit offenem Mund verfolgte ich den Auftritt, ignorierte die höhnischen Kommentare der Nachbarfamilie über Affenmusik und wusste nur eines: So wollte ich werden. Genau so.
Ich wurde Musiker. Leider mäßig erfolgreich – aber der Song „Tin Soldier“ begleitet mich heute noch. Inzwischen weiß ich auch um seine musikalische Qualität. Damals war er für mich revolutionäres Aufbäumen.
Hey Andreas, danke für deine Einblicke! Mir erging es ähnlich;-)
Der Song ist genial.