Datum | 2011 |
höchste Platzierung | 1 |
Album | Making Mirrors |
Website | http://gotye.com/ |
MATRATZENPOP MIT XYLOPHON
Es scheint, als seien Songs wie „Somebody That I Used To Know“ ganz besonders dafĂŒr prĂ€destiniert, bis auf die letzte Viertelnote genau analysiert zu werden. So findet sich beispielsweise auf bonedo.de, einem Portal fĂŒr Musikschaffende, der Beitrag des Autors Lasse Eilers, der fĂŒr den Goyte-Hit eine detaillierte Anleitung zum Nachproduzieren zur VerfĂŒgung stellt. Und auf dem Hörfunksender Radio Eins dozierte der Musikwissenschaftler Professor Hartmut Fladt unter dem Beitrag „Musik verstehen“ ĂŒber die Akkord- und TextphĂ€nomene des Songs. Womöglich offenbarte sich die Musikszene in jenem Winter 2011/2012 als derart innovationsresistent, dass ein belgisch-australischer Singer-Songwriter mit schlichten XylophoneinsĂ€tzen und einer episch vorgetragenen Trennungsthematik schon als Popsensation gelten konnte. Vielleicht steckte aber auch mehr dahinter.
Auf jeden Fall war Gotye bereits viele Jahre im Business tĂ€tig: 2003 brachte er ein weitestgehend unbeachtetes Album („Boardface“) auf den Markt, das er – so lĂ€sst es sich seiner Biografie auf seiner Homepage entnehmen – in seinem Schlafzimmer zusammengebastelt hatte, auf diversen Matratzen und mit Hilfe eines 386-Prozessors. Einige Jahre spĂ€ter (2006) konnte er mit „Like Drawing Blood“ schon deutlich mehr KĂ€ufer animieren und sich erstmals in den belgischen Charts platzieren. Doch im Jahr 2010 gelang ihm schlieĂlich der Coup: Er schrieb und produzierte „Somebody That I Used To Know“ und verursachte damit bei Kritikern wie Konsumenten einhellige BegeisterungsstĂŒrme.
Der Song handelt von einer Trennung – keiner bestimmten, wie der SĂ€nger in einem Interview mit dem Portal metrolyrics.com betont. Vielmehr finde sich hierin eine ganze Reihe von EindrĂŒcken und Aspekten, die aus seinen bisherigen BeziehungsschlĂŒssen resultierten: „It’s more the memory of different relationships and different points in those relationships that prompted certain images and certain lines that came out in the song.“ (Quelle: metrolyrics.com) Weniger als fĂŒr den Text als fĂŒr die Suche nach der geeigneten Gesangspartnerin investierte er fĂŒr die Produktion ein knappes halbes Jahr, nachdem bereits eine Duettkandidatin abgesagt hatte. Die Wahl fiel schlieĂlich auf die NeuseelĂ€nderin Kimbra, die sich von der Kooperation offenbar auch einen Schub fĂŒr die eigene Solokarriere versprochen hatte. Und dann ging es rasend schnell: Die Popnummer rauschte durch sĂ€mtliche relevanten Hitparaden auf allen Kontinenten hinweg an die Spitze, kassierte die European Music Awards, den ECHO, die ARIA Music Awards und nicht zuletzt den Grammy. Das Musikvideo, indem beide Interpreten ihre nackten Körper als Leinwand hergeben, wurde nicht nur zu einem der meistgeklickten YouTube-Clips ĂŒberhaupt, sondern fand zahllose Nachahmer mehr oder weniger talentierter Parodisten. Und die Gruppe Walk Off The Earth bewies eindrucksvoll, wie sich der Song auch mit fĂŒnf Spielern an einer Gitarre souverĂ€n prĂ€sentieren lieĂ und tingelt damit höchstwahrscheinlich immer noch durch die europĂ€ischen Provinzen.
Gotye jedoch hat sich seine BodenstĂ€ndigkeit weiterhin bewahrt: Ein Mann, der in einem Haushalt mit sieben Katzen groĂ wurde, einen Ford Focus fĂ€hrt und seine ersten Songs auf Schlafzimmermatratzen schrieb, dĂŒrfte wohl auch nicht in die Verlegenheit geraten. Egal wie oft sein mutmaĂlich einziger Welthit noch von Experten auseinandergenommen wird…
Aktuell: Gotye hat sich inzwischen wieder auf das australische Musikbusiness konzentriert, sein letztes Album heiĂt „Boardface“.
Urteil: Sicherlich ein ĂŒberdurchschnittliches PopstĂŒck, das dank seiner sich langsam steigernder Instrumentierung, dem raffiniert arrangierten Xylophon-Thema und zwei hĂŒbschen Stimmen fĂŒr kollektives EntzĂŒcken sorgt. Dennoch nicht ein Geniestreich, als welcher er hĂ€ufig „analysiert“ wurde.
Jan