Datum | 1964 |
höchste Platzierung | 5 |
Album | My Boy Lollipop |
Website | – |
SKA-GEPIEPSE EINER JAMAIKA-TEENAGERIN
„Seit Shirley Temple gab es keine solche herausragende Stimme mehr.“ Der britische Daily-Express war tatsächlich hin und weg von diesem jungen jamaikanischen Mädchen, das im Alter von 17 Jahren nach London gezogen war und dem mit 18 Jahren ein Welthit gelang. Millie Small brachte die britischen Journalisten und Kritiker umgehend zum Dahinschmelzen: auf jedem Bild über das ganze Gesicht strahlend, mit einem riesigen Ponytoupet-Gebilde auf dem Kopf sowie ihrem etwas eigenartigen Gesang zwischen Minnie Maus und Pitch-Effekt. Dazu bezauberte sie die Öffentlichkeit mit hinreißenden Aussagen wie diesen: „I like everyone and everything, especially boys! I just don’t hate or dislike anyone. I love movies and I even love English food. I’m just getting used to it. For months all I could eat was curry. Now I can manage fish and chips, out of paper too!“ (Quelle: spectropop.com) Ihrer Heimat Jamaika möglichst schnell zugunsten ihrer Karriere den Rücken zu kehren, ließ sie offenbar auch die Niederungen britischer Esskultur schnell akzeptieren. Gleichermaßen betonte sie jedoch auch, als das jüngste von 13 Kindern, die von einem Zuckerplantagenarbeiter groß gezogen wurde, sich dauerhaft den ärmlichen Verhältnissen in ihrer Heimat entziehen zu wollen.
In Großbritannien kannte sie niemand, als sie 1963 ihre Londoner Wohnung bezog, und auch nach dem Auftaktflop „Don´t You Know“ änderte sich daran nicht viel. Doch plötzlich stand die Welt für sie kopf: „Now I have a flat of my own in London and I earn more in a week than I earned in a year at home! I haven’t been homesick for a single minute, it’s been too much fun. I love my new silk stockings and all the pretty clothes I have now.“ Verdanken hatte sie ihr neues Luxusleben einem Song der Sängerin Barbie Gaye aus dem Jahr 1956, aufgenommen in New York. Der Titel: „My Boy Lollypop“.
Die Musikwelt war wohl zu jener Zeit noch nicht reif für die ersten frühen Blüten des Ska, der in Jamaika seine Wurzeln hatte. Acht Jahre später rauschte jedoch die neue Version von Small in die britischen Hitparaden und belegte auf Anhieb Platz 2 – fortan etablierten sich Künstler wie Desmond Dekker und Bob Marley auch in der internationalen Populärmusik. Streng genommen ist das vielleicht nicht ganz gerecht: Das Original von „My Boy Lollipop“ siegt im Qualitätsvergleich mit kleinem Vorsprung. Barbie Gaye bringt etwas mehr stimmliche Dynamik ins Spiel, auch das Bläsersolo im Mittelteil initiiert mehr Schwung als die dünne Harmonika bei Millie Smalls Cover. Und letztere weiß dem Song im Hinblick auf ihre gesangliche Interpretation nicht wirklich viel Neues abzugewinnen. Vielleicht auch, weil der Text von ziemlich banaler Keuschheit geprägt ist: „My boy Lollipop, you make my heart go giddyup, you set the world on fire, you are my one desire. Whoa, my Lollipop“. Etwas geschickter inszenierte sie sich dafür als kleines neckisch auftretendes Jamaikamädchen, das sich zur vergeblichen Aufrechterhaltung seiner Karriere einige Zeit später auch für irritierende Nacktbilder nicht zu schade war.
Es half jedoch alles nichts, Nachfolgeaufnahmen versandeten weitestgehend kläglich. Und so blieb ein One Hit Wonder-Eintrag in den Chroniken der frühen Ska-Welle, die in London anno 1964 einen erheblichen Auftrieb bekommen sollte.
Aktuell: 2012 verkündete Millie Small, dass sie wieder an neuen Aufnahmen arbeitete. In Jamaika wird man womöglich etwas davon mitbekommen haben.
Urteil: Sicherlich ein feuriger Ska-Erfolg von einem entzückenden Teenager, der allerdings aus dem eh schon ziemlich schlichten Gerüst des Liedes eine zu glatte und uncharismatische Pop-Nummer gemacht hat.
Jan