Datum | 1986 |
höchste Platzierung | 4 |
Album | The Dream Of The Blue Turtles |
Website | http://www.sting.com/ |
BRITISCHER GLASNOST-POP
Als „Russians“ im Jahr 1985 die europäischen Hitlisten stürmte, waren die heftigsten Sturmgewitter des Kalten Krieges bereits allmählich abgeklungen. Über Jahrzehnte hinweg bestimmte die Konfrontation zwischen der NATO und dem Ostblock, das exzessive Wettrüsten der beiden Systeme die Weltpolitik, mehrfach war eine militärische Eskalation gerade einmal ein Knopfdruck seitens der militärischen Befehlshaber in den jeweiligen Kommandozentralen entfernt. Die nukleare Katastrophe wurde zur permanenten Bedrohung.
Stings Solokarriere startete in jenem Jahr, als Michail Gorbatschow zum Chef der KPdSU gewählt wurde und mit seiner Perestroika- und Glasnostpolitik im Wesentlichen zu der finalen Entspannungsphase beitrug. Als besonders politisch wie gesellschaftlich engagiert hatte man den Briten, anders als seinen Kollegen Bono von U 2, bis dato eher weniger wahrgenommen, erst Ende der 80er Jahre trat er als Unterstützer von Amnesty International und Stiftungsgründer zur Rettung des Regenwaldes in Erscheinung. „Russians“ entpuppte sich entsprechend 1985 als ein überraschendes wie fulminantes Statement zur Beilegung des historischen Konfliktes, der Appell wird in deutlichen Worten formuliert. Und auch der Erbauer der Atombombe, dem „little boy“ (so wurde bereits die Hiroshima-Bombe tituliert) wird hierbei namentlich aufgeführt: „How can I save my little boy from Oppenheimer’s deadly toy. There is no monopoly of common sense, on either side of the political fence. We share the same biology, regardless of ideology.“ Als einzige Hoffnung bleibt, dass die „Russen ihre Kinder lieben“ und schließlich der besungene gesunde Menschenverstand über das obsessive Säbelrasseln der verfeindeten Systeme siegen kann.
Das Ticken der Uhr am Anfang und Ende, die orgelhafte Melodiespur und der intensive, fast anklagende Gesang des 34jährigen – all dies präsentiert sich in betörender, zutiefst bewegender Schönheit. Diese resultiert auch aus der Originalmelodie als Teil der symphonischen Suite „Leutnant Kijé“, die der russische Komponist Sergej Prokofiev 1933 geschrieben hat.
„Russians“ schaffte es Anfang 1986 in den deutschen Charts bis auf Platz 4, im Februar verließ der Song wieder die Top 10. Noch am 25. jenes Monats verkündete Gorbatschow auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU seine „Glasnost“-Agenda – eine reformierte Politik nahm in der Sowjetunion ihren Anfang und das Ende der verbitterten Auseinandersetzungen mit dem Westen war nun unumkehrbar…
Aktuell (2019): Sting gibt 2019 einige Konzerte, u. a. auch in Berlin. In dem Rahmen brachte er mit „My Songs“ auch neue Versionen einiger seiner größten Hits heraus.
Urteil: Schwermütiges, düsteres Stück, das zwar sicherlich nicht in die Mausoleen der Janis Joplin-Protestlieder Einzug hält, aber als kleines großes Meisterwerk des Pops die beängstigenden Wirrungen der politischen Entwicklungen Mitte der 80er Jahre zutiefst sentimental auffängt.
Jan