Datum | 1974 |
höchster Platz in den dt. Charts | 8 |
Album | – |
Website | http://www.ingo-insterburg.com |
LIEBENSWERTE BRECHSTANGENKOMIK
In gewisser Weise leistete er Pionierarbeit, als er Ende der 60er Jahre zusammen mit Karl Dall, Peter Ehlebracht und Jürgen Barz die Komikergruppe Insterburg & Co. gegründet hatte: Auf den Kleinkunstbühnen und in den Kabarett-Theatern des piefigen Westberliner Milieus erprobte man Wortwitz und Nonsens-Lieder, hemmungslose Albernheiten und Blödeleien, die garantiert unter die Gürtellinie gingen, aber zugleich größtmögliche Zerstreuung und Unterhaltung versprachen. Ingo Insterburg gehörte zu jenen „Blödelbarden“, die säten, was spätere Komiker-Superstars wie Otto Waalkes ernten konnten, herrlich schrullig und von grenzenloser Verspieltheit – vor allem, wenn er sich das ein oder andere Mal an das Entfremden diverser Alltagsgegenstände machte, um diese als Instrumente zu nutzen. So wird bei Insterburg aus einem alten Abwasserschlauch ein Saxofon, aus einem Öleimer ein Cello, aus einem Stuhlbein eine Klarinette und einer Klobrille ein Xylophon. Dazu amüsierte er sein Publikum mit pointierten Kurzgeschichten und Slapstick-Humor.
Und dann gelang dem Komiker (oder wie er sich selbst gerne betitelt: Musikkabarettisten), Lyriker, Schauspieler, früheren WG-Mitbewohner Klaus Kinskis, Instrumentenbauer und -erfinder sowie passionierten Marathonläufer doch tatsächlich ein echter Hit in den deutschen Charts, anno 1974: „Ich liebte ein Mädchen“. In verquerer Paarreimdichtung verpackt und von wirbelnden Trommeln unterstützt erzählt Insterburg von seinen zahlreichen Liebschaften, die er zunächst in (West-)Berlin, dann in Deutschland, und schließlich in diversen Staaten der Erde hatte. Darunter waren Pettingsversessene, Gymnophobikerinnen, Narzistinnen, Frauen mit Segelohren, die sich als Männer ausgeben und es mit Vorliebe in Reisfeldern und auf einsamen Inseln tun – zweifellos imposant, dieser Erfahrungsreichtum. Für solch einen nymphomanischen Casanova muss dies allerdings zwangsläufig außerhalb alles Irdischen enden: „Doch dann wurde es mir auf der Welt zu klein, drum zog ich in den Himmel ein. Ich liebte ein Mädchen auf dem Mars. Ja das war´s.“
Ein bisschen gespielter Dilettantismus, schonungsloser Nonsens, weitestgehend unpolitisch, und doch irgendwie genial – Insterburgs Bühnenauftritte (seit 1994 vorwiegend solo) sind so ein wenig wie dieses eigenartige Stück. Anarchistische Brechstangenkomik, die sicherlich mit den heutigen steril-geschliffenen Hochglanzhumoristen der „Quatsch-Comedy“-Ära kaum mehr etwas zu tun hat, aber vor allem eines ist, was Barth, Cindy & Co. gewissermaßen völlig abgeht: einfach liebenswert!
Aktuell: Insterburg ist inzwischen über 80, hat zuletzt noch ein neues Gedichtband mit „5555 Gedichten“ herausgebracht, hat sich ansonsten völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, mit Ausnahme einiger weniger sozialer Initiativen. Update: Insterburg verstarb am 27. Oktober 2018 in Berlin.
Urteil: Angestaubt wie ein „Hänsel und Gretel“-Witz von Otto oder unsterblicher Klamauk, der noch heute schmunzeln lässt? Beides!
Jan
Mit einem selbstgebastelten Video eines fleißigen YouTubers:
Alternative: Die Version vom bereits mehrfach erwähnten Otto Waalkes: