Datum | 1988 |
höchste Platzierung | 9 |
Album | Wiener Blut |
Website | www.falco.at |
DER FALKE IM SINKFLUG
„Wiener Blut“, Falcos letzter deutscher Top-10-Hit zu Lebzeiten, markiert den Anfang einer langen Talsohle in Falcos Karriere. Zwar schafften es Single und gleichnamige LP in Deutschland fĂŒr wenige Wochen unter die ersten Zehn, sonderlich nachhaltig war dieser Erfolg allerdings nicht â und schon gar kein Vergleich zu den vorangegangenen Hits des gröĂten österreichischen Popstars.
Das liegt sicherlich auch mit daran, dass der Titelsong, gleichzeitig die Vorabsingle, textlich schwer zugĂ€nglich ist: Falco singt noch extremer als bisher gewohnt im Wiener Dialekt. Dazu bedient er sich vieler Vokabeln aus dem Halbwelt- und GefĂ€ngnismilieu, so dass man als Nicht-Wiener nur durch mehrere FuĂnoten auf dem beigelegten Textblatt ungefĂ€hr erahnen kann, worum es geht.
Platz 9 war fĂŒr „Wiener Blut“ als erste Auskopplung noch akzeptabel. Danach ging es rapide bergab: Die Nachfolgesingle „Satellite to Satellite“ schaffte es gar nicht mehr in die Charts, und die geplante Tour zum Album wurde wegen mieser KartenvorverkĂ€ufe abgesagt.
Wie schafft man es, in nur zwei Jahren vom Weltstar zum Kassengift zu werden? Hinter der coolen Popstarfassade „Falco“ steckte ein sehr sensibles Kerlchen, Hans Hölzel â dem GlĂŒck des einen, schien immer dem des jeweils anderen im Weg zu stehen. So traf Falco/Hans einige fĂŒr seinen Werdegang unglĂŒckliche Entscheidungen: Als er 1986 die Sensation schaffte und mit „Rock Me Amadeus“ Platz 1 in den USA erreichte, brachte es Hans nicht ĂŒbers Herz, aus Ăsterreich wegzuziehen, um von Amerika aus seine internationale Falco-Karriere weiter zu verfolgen. Die Superchance, ein Duett mit Madonna aufzunehmen, lehnte er ab mit den Worten: „Bist jetzt ganz deppert worn, was soll i denn mit der singen?“ (Bork, Horst: „Falco: Die Wahrheit. Wie es wirklich war â sein Manager erzĂ€hlt“, 2009, Berlin, Schwarzkopf & Schwarzkopf, S. 177). Stattdessen nahm er mit Brigitte Nielsen „Body Next to Body“ auf â also ob man einen Ferrari ablehnt, weil man lieber Trabbi fĂ€hrt… Drogenprobleme und ein stĂ€ndiges heftiges Beziehungs-Auf-und-Ab mit Isabella Vitkovic behinderten zusĂ€tzlich den kreativen Prozess.
EINE IRRFAHRT BIS ZUM RAUSSCHMISS
SchlieĂlich entwickelten sich auch noch die Aufnahmen fĂŒr die „Wiener Blut“-LP zu einer unbefriedigenden Irrfahrt: Die Chemie zwischen Falco und dem Produzententeam seiner groĂen Hits, den BrĂŒdern Rob und Ferdi Bolland aus den Niederlanden, stimmte nicht mehr. Jetzt sollten es GĂŒnther Mende und Candy DeRouge richten. Die schienen durch Top-10-Songs fĂŒr Jennifer Rush und Bonnie Bianco gerade einen Lauf zu haben. Allerdings bekamen die Titel, die sie mit Falco aufnahmen, ein vernichtendes Urteil von seiner Plattenfirma: kein Hit erkennbar! Der GroĂteil wurde aussortiert, nur vier Lieder wurden fĂŒrs Album behalten. Den Rest der Platte sollten dann doch wieder die Bolland-BrĂŒder retten. Die Zusammenarbeit endete mit einem Bilderbuch-Rausschmiss: Falco brachte mit seinem divenhaften Verhalten die Bollands derart zur WeiĂglut, dass sie ihn im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Studio schmissen und vor die TĂŒr setzten. Wen wundertâs: Eine unter solchen unruhigen UmstĂ€nden zusammengeschusterte LP wie „Wiener Blut“ konnte weder Falco noch seine Fans zufriedenstellten.
Falcos PechstrĂ€hne ging weiter: Die 1990 erschienene LP „Data De Groove“ war ein noch gröĂerer Flop. Mit dem 92er Album „Nachtflug“ zeigten Formkurve und Verkaufszahlen (zumindest in Ăsterreich) wieder nach oben. 1996 wagte Falco unter dem Pseudonym „T>>MA“ und mit gesanglicher UnterstĂŒtzung von Inga & Annette Humpe das Technoexperiment „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“. Damit verpasste er nur knapp die deutschen Top 10. Erst nach seinem Tod am 6. Februar 1998 erreichten seine Songs wieder die vorderen PlĂ€tze.
Makabere Randnotiz der unerfreulichen „Wiener Blut“-Episode: Die von der Plattenfirma zu Recht als zu schlecht aussortierten Songs (u. a. ein dritter Teil zur „Jeanny“-Geschichte) wurden 2009 als „The Spirit Never Dies“ veröffentlicht. Dieses quasi aus Abfall bestehende Album verkaufte sich besser als vieles zu Falcos Lebzeiten.
Aktuell: Falco wird uns weiter in Erinnerung bleiben. Dabei helfen Musicals, Filme, BĂŒcher rund um Falcos Leben und Werk. In JubilĂ€umsjahren wimmelt es in der Regel vor Wiederveröffentlichungen und Best-of-Alben.
Urteil: „Wiener Blut“ ist kein groĂer Klassiker, aber auch kein kompletter Murks. Wenn man sich die MĂŒhe macht, den Dialekttext genauer zu verstehen, entdeckt man satirische Seitenhiebe auf österreichische Politiker mit Hang zu Doppelmoral und Korruption (sehr hilfreich dabei: https://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080820042006AASb3jP)
Björn StröĂner