Datum | 1981 |
höchste Platzierung | 2 |
Album | Stop The Cavalry |
Website | http://www.jonalewie.com |
ANTIKRIEGS-PARADE FÜR DAS WEIHNACHTSGESCHÄFT
Wie man seinen Ohrwurm am besten wieder los wird? Jona Lewie hat glücklicherweise einen Ausweg anzubieten: „One antidote to getting rid of a tune that goes round and round in your head could be to immerse yourself in another tune.“ (Quelle: Website) Mit anderen Worten: Höre einfach einen anderen Song. Ein vornehmer Ratschlag dieses wunderlichen Briten, aber ein nahezu unmögliches Unterfangen: Selbst wenn man Kübel von Wendler- und Becker-Schlagern auf den hilflosen Konsumenten ausschütten würde, dieser teutonisch-militärisch wirkende Gleichschritt-Weihnachts-Antikriegs-Kracher mit dem unverkennbaren Bläser-Thema rauscht nur so offensiv in den Neocortex, dass man von dieser Nummer kaum mehr so schnell loskommt.
Aber eigentlich war dieser ganze Weihnachtserfolg in gewisser Weise ein Irrtum, denn als ein solcher war „Stop The Cavalry“ nicht geplant. Gerade mal eine einzige Zeile bezieht sich offensichtlich auf das christliche Fest: „Wish I was at home at Christmas“, im Anschluss ertönt Glockengeläut. Aber da die Produktion des Liedes nun schon mal eh im späten Herbst fertig war, nahm man das Weihnachtsgeschäft dankenswerter Weise auch gleich mit.
Lewies Ursprünge lagen jedoch eher in den humoristischen Darbietungen der Spaßtruppe Brett Marvin & The Thunderbolts, die 1972 mit „Sea Side Shuffle“ ihren Durchbruch in Großbritannien feierten. Drei Jahre später löste sich die Band auf, Lewie versuchte es fortan als Solokünstler. 1981 zahlten sich die Mühen aus: „Stop The Cavalry“ landete in Großbritannien auf Platz 3, in Deutschland auf der 2. Dass es in seiner Heimat nicht zur Chartsspitze gereicht hatte, war für den Popsänger kein großes Problem, immerhin hatte er die Ehre, dem kurz zuvor verstorbenen John Lennon Platz machen zu dürfen: „His death was one of the big deaths of the second half of the last century, along with Hendrix, Joplin, Presley, Brian Jones, President Kennedy and Dr. Martin Luther King, and it was just amazing to find myself next to Lennon high up in the charts.“
Der überzeugte Pazifist Lennon hätte wiederum am Text von „Stop The Cavalry“ seine helle Freude gehabt. In trockenen Worten erläutert ein Soldat (im Musikvideo virtuos von Lewie persönlich verkörpert) inmitten des Krieges (Lewie deutete an, es könnte sich um die französisches Grenzgebiete während des 1. Weltkrieges handeln), wie beschissen das Leben an der Front sei, dieses ständige Kämpfen, Churchills ewige Durchhalteparolen, und er miterleben muss, wie gerade wieder einmal irgendeine Stadt ausradiert wurde, während Amis wie Russen gemütlich ihren Tee trinken. Viel lieber würde er Weihnachten mit seiner Familie daheim verbringen. Sollte jener Soldat jedoch selbst mal die politische Führung übernehmen können, dann: „If I get elected I’ll stop, I will stop the cavalry.“
Nie wieder ist ihm ein derart genialer Streich gelungen, obwohl dieser trockene britische Humor ohne Frage Stoff für weitaus mehr interessante Songs geboten hätte. Aber in diesem Fall stoppte die Erfolgs-Kavallerie unversehends – und ließ einen genialen Ohrwurm für die Ewigkeit zurück…
Aktuell: Die Wiederauflage seines 1978er Albums „On The Other Hand There´s A Fist“ im Jahr 2007 schließt seine jüngste Diskografie ab.
Urteil: Ein britisches Anti-Kriegs-Statement und ein ungewöhnlicher Song, der obgleich mit den typischen stilistischen Mitteln wie Fanfaren und Paradenrhythmus spielend, sich keineswegs zu ernst nimmt und zum echten 80er Jahre-Gassenhauer mutierte. Aber halt eben nur zu Weihnachten.
Jan
Ein großartiges Antikriegslied! Ich möchte gern glauben, dass John Lennon daran seine helle Freude gehabt hätte!
Als dieses Lied herauskam, war ich noch keine 20 und habe mir auch nicht die Mühe gemacht, den Text wirklich zu verstehen. Ich fand es einfach nur toll!
Jetzt, nahezu 40 Jahre später, weiß ich erst die Kombination aus heiterem Musikstil, gegenteiligem Liedtext und der darin liegenden Ironie zu schätzen.