EVERGREEN UND PARTYKRACHER
Nachdem David Bowie den androgynen Look erdacht, gelebt, perfektioniert und schließlich wieder abgelegt hatte, entschied sich Prince knappe 10 Jahre später dafür, diesem mittlerweile aus der Mode gekommenem Stil wieder mehr Aufwind zu verschaffen. Keine schlechte Idee, sind doch die 80er für solche exzentrischen Fashioneskapaden weitaus besser geeignet als die frühen 70er trotz der damaligen Glamrockwelle. Doch von der Mode mal abgesehen, haben wir es in beiden Fällen mit außergewöhnlichen Künstlern und zu tun.
Prince Rogers Nelson kreierte nicht nur großartige Musik und spielte dabei oft alle Instrumente selbst ein, er verstand es ebenfalls, sich als Künstler perfekt zu inszenieren. So gut, dass wir über sein Privatleben nur wenig wissen. Das macht aber nichts, denn er liefert uns mehr als genug Material seines künstlerischen Egos. Er hat tatsächlich schon sage und schreibe 34 Alben produziert! Darunter fallen auch mehrere Filmsoundtracks. Zudem gewann er sogar schon einen Oskar für die beste Filmmusik (Purple Rain, 1984). Außerdem komponierte er unter diversen Pseudonymen. Dabei lässt er sich schon lange nicht mehr wie früher auf bestimmte Musikrichtungen festlegen. Stilsicher und innovativ kann er in Pop, Rock, R&B, Soul und Jazz überzeugen und glänzt bei Konzerten und Auftritten als fantastischer Entertainer und Gitarrist, der genau weiß, wie man jedes Publikum durch emotionsgeladene und sichtlich gelebte Darbietungen mitreißt. Ein relativ neues Beispiel zeigt, dass ihm auch der Funk in die Wiege gelegt wurde. “Musicology” ist ein mitreißendes Album aus dem Jahre 2004, das die musikalische Vielfalt untermauert.
Wie kein anderer Künstler versteht es Prince aber stets einen gewissen Mythos um sich herum zu bewahren. Er spricht nie über sein Privatleben, manche seiner Alben lassen sich gar nicht erst im Handel erstehen, sondern sind vielmehr nur als “Beilage” in einem Rolling Stone Magazin zu finden (siehe das Album “20Ten” aus 2010) und im Internet sucht man vergeblich die offizielle Website. Da versucht alle Welt durch Twitter, Facebook und Co. auf sich aufmerksam zu machen und Prince ignoriert diesen Zeitgeist prombt (Hier ein Artikel im Spiegel Online). Ist er nun etwa doch konservativ? Oder ist er uns vielleicht sogar schon einen Schritt voraus und lebt in einer friedlicheren Welt, in der soziale Plattformen ausgestorben sind? Er engagiert sich immerhin stark für das Urheberrecht, wenn auch nicht ganz uneigennützig. In einem Streit mit einem seiner Plattenlabels änderte er sogar seinen Namen und war nun nur noch ein unausprechliches Symbol (genannt The Love Symbol); bekannt unter “The Artist formely known as Prince”.
Widmen wir uns jetzt aber seinem in Deutschland populärsten Hit “Kiss”. Er erschien auf dem 8. Studioalbum “Parade” und war der Soundtrack zum Film “Under the Cherrymoon”. Eigentlich gab Prince den Song in weit abgespeckter Weise der Band Mazarati, die ihn auf ihrem Debütalbum veröffentlichen wollte. Sie bearbeiteten den Track ein wenig und zeigten ihn Prince. Dieser war davon so begeistert, dass er ihn dann doch selbst veröffentlichte, immerhin mit den Mazaratis als Backgroundsänger und ein paar weiteren Änderungen.
Der Song ist sehr minimalistisch und kommt mit einem wenig facettenreichen Arrangement aus. Dennoch zieht der Song die Menschen in seinen Bann. Sei es die feminine Kopfstimme des Prinzen, oder die eingängigen Lyrics, die standardmäßig bei allen Konzerten vom Publikum gesungen werden. Was die Faszination auch ausmacht, wir haben es hier mit einem Evergreen zu tun. In den USA immerhin auf Platz 1 der Charts, schaffte er es in Deutschland leider nur auf den 4. Oder vielleicht sogar zu Recht “nur” auf den ersten Posten ohne Medaille? Denn die künstlerische Integrität des Sängers kann dieser Song nun wirklich nicht akkurat widerspiegeln. Ganz im Gegenteil, da fallen mir doch spontan 5 Songs ein, die mir viel besser gefallen: Gold, Purple Rain, Cream, Musicology und Cinnamon Girl.
So ist das eben manchmal mit großartigen Künstlern. Sie werden zwar geehrt, aber nicht immer für ihre beste Leistung.
Urteil: Kiss ist ein netter Partykracher, den man immer mal wieder bringen kann. Ganz sicher aber ist er nicht der beste Song des absolut bewundernswerten und hochbegabten Künstlers Prince. 7 von 10 Punkten.
Ingo