Datum 1981
höchste Platzierung 2
Album Select
Website http://www.kimwilde.com/

SYNTHI-ÜBERTÜNCHTES FAMILIENWERK

Häufig genug stehen die engsten Familienmitglieder der Stars lediglich im Hintergrund und dürfen in der Regel höchstens mal die Fanpost archivieren oder eingehende Presseanfragen beantworten, sofern Mama die Managerin spielen darf. Bei der Familie Wilde aus Chiswick in West-London war das etwas anders: Hier funktionierte der Familienzusammenhalt derart gut, dass Papa Marty, Sohn Ricky und dessen Schwester Kim nicht nur gerne, sondern zudem vor allem regelmäßig an gemeinsamen Songprojekten arbeiteten. 1981 war es wieder soweit, das zweite Album der 21jährigen Sängerin musste dringend auf den Markt, am besten so schnell wie möglich. Denn das Debütalbum „Kim Wilde“ hatte nur wenige Monate zuvor für viel Furore gesorgt: Platz 3 in Großbritannien, Spitzenreiter in Deutschland und standardisierter New Wave-Poprock für die Massen. Das verlangte nach einer schleunigen Fortsetzung, um den Erfolg gleich mal zu konservieren.

Also machten sich Papa und Zögling ans Werk. Marty, der Ende der 50er bzw. Anfang der 60er eine gewisse Popularität als Sänger genoss und nun mit Anfang 40 dem vorzeitigen Ruhestand zu entgehen versuchte, organisierte die Studiosessions und arbeitete fleißig an den Reglern. Ricky, der jüngere Bruder von Kim, durfte mit seinen zarten 20 Jahren als Co-Autor fungieren und war vor allem froh, nicht immer als der ewige Teeniestar unter den Fittichen seines Mentors Jonathan King in den Jugendzeitschriften zu erscheinen. Die erste Auskopplung des zweiten Albums „Select“ heißt „Cambodia“ – und bot erstaunlich schwermütigen Stoff.

Im Lied geht es die Frau eines in Thailand stationierten Air-Force-Piloten, der eines Tages nach Kambodscha fliegen muss und seitdem spurlos verschwunden bleibt. Dabei verwies Marty mit den dramatischen Lyrics auf die sogenannte „Operation MENU“ im Rahmen des Vietnamkrieges, in dessen Verlauf amerikanische B-52-Bomber Stützpunkte der südkoreanischen Vietcong systematisch angriffen (1969/1970). Der real-historische Hintergrund, welcher sich im Text manifestiert, fällt hinter dem gemächlich flanierendem Synthiornament zurück, das mit seinen kühl wirkenden Effekten eine düstere Grundierung für Wildes dramatische Performance liefert. Papa Marty war vielleicht etwas melancholisch drauf an jenem Tag?

Für seine Tochter schuf er jedoch eines der repräsentativsten Songs der in den frühen 80er Jahre aufkommenden New Wave-Welle, die der jungen Britin eine anständige Laufbahn über mehrere Jahre hinweg ermöglichte. Das zweite Album wollte jedoch trotzdem  in der Heimat nicht so recht zünden: Hier reichte es lediglich zu einem mageren Platz 19, während sich in Deutschland „Select“ immerhin bis auf den 4. Platz schob. Aber zumindest „Cambodia“ kämpfte sich in Dänemark, Frankreich, Schweden und der Schweiz bis an die Chartsspitze – und sorgte damit vermutlich für einen halbwegs intakten Familienfrieden im Hause Wilde.

Oder vielmehr Smith, wie Kim, Marty und Ricky tatsächlich mit Nachnamen heißen.

Aktuell: 2018 erschien ihr letztes Album: „Here Come The Aliens“. Die Sex-Appeal-Prinzessin der 80er Jahre bleibt ihrem Stil treu.

Urteil: Kühl produziertes New Wave-Produkt mit einem breit ausgelegten Soundteppich, das die etwas arg simpel gestrickte Melodiestruktur raffiniert zu übertünchen weiß.

Jan

Kim Wilde – Cambodia
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