KINDERGEBURTSTAG UNTER DISCOKUGELN
Eine Hommage an den Traum der ewigen Jugend, zugleich ein düsteres Gleichnis für die Mitte der 80er Jahre überwältigenden Ängste vor einem Atomkrieg, die aus dem unbändigen Wettrüsten der beiden zutiefst untereinander verfeindeten West- und Ostmächte resultierte. Der gefühlvoll-zarte Gesang eines jungen Marian Gold, der hier zur Bestform aufläuft. Eine traumhafte Ballade, die sich zwischen morbider Ästhetik und sphärischer Raffinesse bewegt, ein Relikt aus der Hochzeit dieses so einzigartigen Popjahrzehnts…
Etwa 9 bis 10 Jahre später, dürfte so Mitte 1994 sein. Jens, Ramon, Marc und Andreas sitzen im Studio und nippen jeweils an ihrem Veltins. „Boah, Jungs, lasst uns mal endlich anfangen“, nuschelt Ramon etwas lustlos vor sich hin, „wenn wir hier noch ewig rumsitzen, kriegen wir ja gar nichts zustande!“ Von irgendwoher aus dem Studio ist ein lauter Rülpser zu vernehmen. „Ja, kommt, legen wir los“, stimmt Marc zu, „ich muss irgendwann auch wieder nach Hause. Okay, also was machen wir?“ „Naja“, antwortet Ramon, während er zum Mischpult trabt, „wie wär´s denn mit so ´nem 80er-Cover? Kennt da jemand was?“ Jens, der bisher in der Runde noch gar nicht weiter auffiel, ruft aus dem Hintergrund: „Krass, Alter, ist eine verflucht super Idee, wie wär´s denn hier mit… äh… hier, der Neuen Deutschen Welle, zum Beispiel ‚Herz an Herz‘ oder sowas?“ „Ach nee“, meint Ramon, „den Scheiß will doch heute keiner mehr hören, nicht mal mit ´nem 250 BPM-Technobumms dahinter.“ „Na gut“, grübelt Jens weiter, „vielleicht was total abgespactes, na, wie hieß das, ‚Tränen lügen nicht‘? Ach nee, das waren ja gar keine 80er…“ „Und außerdem“, entgegnet Ramon leicht genervt“, „hat der Marko da irgendwas damit am Laufen derzeit.“ Nach einiger Zeit der Stille ruft dann Andreas hinein: „Leute, ich hab´s: Nehmen wir doch Alphaville, ‚Forever Young‘! Find ich gut, hab´ ich voll die romantischen Momente dabei erlebt, damals… na egal. Das geht doch fix: Marc singt eben den Refrain ein, dann pitchen wir die Stimme ein bisschen, kurz ´nen Filter und ein paar Flanger-Effekte und sowas rein, den Rest übernehmen Ramon und ich, haben wir doch in fünf Minuten fertig!“ „So machen wir das“, antwortet Marc“, will nämlich mal langsam Feierabend… hicks… machen.“ Und so geschah es, und nach genau 4 Minuten und 38 Sekunden hatten sie diese abgeranzte Dorfdisco-Fäkalien-Version des Alphaville-Klassikers on tape. „Na das lief doch super!“, meint Ramon. „Hat jemand nachher noch Lust auf ein bisschen Abhängen mit Hans-Peter und Rick? Die sind gerade auf Tour und wollten nachher noch vorbeikom…“ „Boah, nee, Alter, nicht schon wieder diese Scooter-Kröten, hab ich echt kein Bock drauf“, stöhnt Jens lauthals und zieht sich die Jacke über. „Ich geh jetzt auch nach Hause. Tschüss!“ „Na gut“, entgegnet Ramon, „ich mach mich auch auf den Weg. Na, war doch spitze heute, der Song geht sicher ab wie ´ne Rakete, die Crowd da draußen kauft ja derzeit jeden Mist, der in die Läden kommt.“ „Ha ha, stimmt“, hört man Andreas noch rufen, als sich die Tür hinter ihm bereits schloss, „wir sind ja schließlich mitten in den 90ern…“
Urteil: Wer nicht schon unter dieser geballten Ladung Dancefloor-Trash genug leidet, wird spätestens beim Betrachten des Musikvideos zum Thema „Kindergeburtstag unter der Discokugel“ in kürzester Zeit an Brechdurchfall zugrunde gehen. Nur weil beim Hören noch ansatzweise das Original in uns wachgerufen wird: 2 von 10 Punkten.
Jan