AUFRICHTIG UND MITREISSEND
In der Nacht vom 10. Juni zum 11. Juni 2000, einem Pfingstwochenende, begab sich in Dessau der mosambikische Fleischermeister Alberto Adriano auf den Weg nach Hause. Zuvor hatte er mit Freunden das Eröffnungsspiel Belgien gegen Schweden (2:1) angeschaut. Gegen 1:30 Uhr nachts, im Stadtpark, stieß er auf die drei Rechtsradikalen Christian R., Frank M. (beide 16 Jahre aus Wolfen) und Enrico H. (24 Jahre aus Finsterwalde, Brandenburg), die zuvor bereits im betrunkenen Zustand durch die Dessauer Innenstadt getorkelt waren und rechte Parolen skandiert hatten. Als die drei Männer den 40jährigen Familienvater entdeckten, schlugen sie mit Schlagstöcken auf ihn ein und zerstörten seinen Schädel mit unzähligen Stiefeltritten. Drei Tage später erlag Adriano seinen schweren Verletzungen. Etwa ein Jahr darauf landeten Brothers Keepers mit „Adriano (letzte Warnung)“ einen Singlehit in Deutschland.
Es war sicherlich die beeindruckendste Reaktion auf eine unfassbare Tat, welche zeitweise die Öffentlichkeit regelrecht erschüttert hatte. Nach einem nur zweimonatigen Prozess wurde einer der Täter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die zwei anderen bekamen je neun Jahre. Die Presse setzte sich nach dem aufsehenerregenden Urteil wieder mit anderen Themen auseinander, doch den deutsch-nigerianischen Sänger Adé Bantu ließ dieses Ereignis nicht mehr ruhig schlafen. Auf seine Initiative hin wurde, kurze Zeit nach dem Vorfall, der Verein „Brothers Keepers e.V.“ gegründet, einem Zusammenschluss von etwa 80 afrodeutschen Künstlern aus dem Hip Hop- und Soulbereich. Im Wesentlichen war dieser Verein, so die Selbstbeschreibung auf der Website, „auf den ersten Blick ein bunt zusammen gewürfelter Haufen – Frauen und Männer, Schwarze und Weiße, Menschen aus unterschiedlichen Berufssparten, unterschiedlichen Alters. In einem Punkt sind wir uns einig: Wir wollen handeln!“ (Quelle: brotherskeepers.org). Und sie handelten: Neben einigen Veranstaltungen und Demonstrationen gab man auch Statements gegen die zunehmend inszenierte Mythologisierung des „Neger“-Begriffs in deutschen Rap-Alben ab, siehe B-Tight. Und dann war da vor allem das nachhaltigste Projekt, der Song „Adriano“, ein dem verstorbenen Afroamerikaner gewidmetes wie wütendes Pamphlet gegen den alltäglichen Rassismus, in düster gefärbten Mollakkorden arrangiert, präzise ausformuliert von den Rappern Torch, G.E.R.M., Tyron Ricketts, Sékou, Afrob, Adé, Don Abi, Denyo77, Samy Deluxe, D-FlameOno, Chima und Ebony Prince sowie dramatisch-anklagend besungen von Xavier Naidoo: „Dies ist so was wie eine letzte Warnung, denn unser Rückschlag ist längst in Planung, wir falln dort ein, wo ihr auffallt, gebieten eurer braunen Scheiße endlich Aufhalt.“
Aktuell: Ob man je nochmal ein Ausrufezeichen dieses sonst eigentlich so unterstützenswerten Projekts, das vor nunmehr über 12 Jahren seinen Anfang nahm, hören wird, bleibt fraglich. Vielleicht haben sich die Ambitionen der einzelnen Künstler dieser Vereinigung verändert – der gesellschaftlich verankerte Rassimus, den viele in Deutschland alltäglich erleben, sicherlich nicht.
Urteil: „Adriano“ hält die Erinnerung an das gleichnamige Opfer eines sinnlosen wie furchtbaren Mordes wach, und fordert zugleich aktives Handeln und Toleranz, damit sich solch eine Tragödie nie mehr wiederholt. Das ist uneingeschränkt zu unterstützen und gilt auch heute noch: 8 von 10 Punkten.
Jan