Datum | 1986 |
höchste Platzierung | 1 |
Album | Liverpool |
Website | http://www.frankiesay.com/ |
AUFGEDUNSENES SOUNDFEUERWERK
Monumental, expressiv, aufgeplustert, zum Teil auch verstörend: Frankie Goes To Hollywood hatten die britische Popmusik wie ein Kampfpanzer der Marke Challenger 2 mit Orgieninszenierungen, Fetischkoketterien und überwuchtetem Sound überwalzt und irgendwie nicht weniger als den Beginn eines neuen aufregenden Popzeitalters versprochen. Das erste Album „Welcome To The Pleasuredome“ hatte eine enorme Stahlkraft – vor allem in homosexuellen Kreisen – an den Tag gelegt, die Musikvideos waren spektakulär: Holly Johnson & Co. repräsentierten ein völlig anderes, frivol-unbiederes Liverpool, jene Stadt, aus der die fünf Mitglieder stammten. Liverpool. Der Name dieser legendären Musikmetropole zog im Großbritannien der 80er Jahre natürlich immer noch. Nicht nur die Beatles verband man mit der Stadt im Nordwesten des Landes, sondern auch musikalische Erzeugnisse wie Echo & The Bunnymen, Elvis Costello, OMD oder The Farm. „Liverpool“ – ein reizvoller Titel für ein zweites Album.
Die Erwartungen waren riesig, der Druck entsprechend hoch, vor allem für Herz, Lunge, Nieren, und eigentlich auch den gesamten Blutkreislauf der Band, in einem Namen zusammengefasst: Trevor Horn. 80er-Produzent aller 80er-Produzenten, nichts lief in diesem Jahrzehnt ohne ihn. Und wenn, dann aber nicht ohne dessen Protegé Steve Lipson, der sämtlichen Autonomieansprüchen der FGTH-Mitglieder Gill, Nash, O’Toole, Rutherford und Johnson gleich mal eine klare Absage erteilte. „Liverpool“ war somit erneut ein Horn-Werk, insgesamt deutlich rock-orientierter als sein Vorgänger, aber zumindest mit etwas mehr Instrumentenbeteiligung der Bandmitglieder, die sich anfangs noch als „Studioprojekt“ ohne Live-Befähigung beleidigen lassen mussten.
Nun also „Liverpool“ und die erste Single „Rage Hard“, gleich zu Anfang die volle Breitseite in Sachen aufgedunsenem Soundfeuerwerk, mit Johnsons gegen den Teppich annäselnden Gesang, mit sich überschlagenden Synthilinien, explodierenden Drumgewittern und einer schwer zu folgenden Strophen-Refrain-Spur, die das ganze schließlich mit einem Schlag und urplötzlich beendet. Das wirkt alles etwas zu aufgesetzt und effektheischend, mit einem Text, der irgendwie weder Homoerotik („Relax“) noch Atomkriegsängste („Two Tribes“) thematisiert, sondern ziemlich diffus bleibt: „Rage Hard, into the light, rage hard, doing it right. Let the tournament begin, don’t give up and don’t give in…“ Oder hatten die Fans die Botschaft von „Rage Hard“ einfach nicht ausreichend verstanden? Gegenüber dem „Musik-Express“ wurde Holly Johnson in dieser Hinsicht durchaus deutlich:
So spricht er im Hinblick auf den Text von einer „Beschwörung wider den Tod und die Lethargie. Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft lassen sich verführen, und die Dämonen heißen Drogen, Alkohol, Fernsehen. Konsumieren und verblöden! (…) Kleine Leute in kleinen Häuschen mit kleinen Jobs, die die Reichen bestaunen, die ihr reiches Leben führen. (…) Und an diesem Punkt setzt ‚Rage Hard‘ ein. Die kleinen Leute bleiben klein, weil sie gehorsam sind. Es ist so, als würde ich aus dem Bildschirm herausspringen und schreien: ‚He, wach auf, schau dir an, was du machst. Soll das alles gewesen sein. ‚Rage hard… lehn‘ dich auf.'“ (Quelle: Musik-Express)
Der Aufstand bzw. das Erwachen fiel insgesamt eher ernüchternd aus: Während der Song in Deutschland unvermittelt die Spitze der Charts erreichte, offenbarten die Platzierungen in Großbritannien (Platz 4), Frankreich (Platz 32) oder Australien (Platz 12), dass Frankie Goes To Hollywood ihr Pulver wohl ein wenig verschossen haben dürften.
Aktuell: Mitte der 2000er Jahre kamen die Gründungsmitglieder für ein paar wenige Auftritte zusammen, 2007 sollte es sogar ein neues Album gehen. Doch dieses Projekt kam nicht zustande und vor allem Holly Johnson dürfte angesichts seiner Solo-Ambitionen kaum an einer offiziellen Reunion gelegen sein.
Urteil: Tosender Rock-Hi-NRG-Knallkörper, der noch viel von der elegischen Theatralik der ersten FGTH-Meisterwerke mitbringt, dessen Spritzigkeit dennoch zu Lasten der melodischen Unverwechselbarkeit sowie lyrischen Provokanz geht.
Jan
Ein toller Artikel! Sehr gern gelesen!
Vielen Dank!:-)