Datum 2000
höchste Platzierung 1
Album Ich bleibe wer ich bin
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AUS DEM CONTAINER FÜR DIE TONNE

Die deutschen Singlecharts sind manchmal eine recht unromantische Verkaufszahlenstatistik: Ein Weltstar wie Michael Jackson kommt auf 2 Nummer-Eins-Hits – genauso viele schafft ein als Sänger nur wenig begabter Industriemechaniker aus Baden-Württemberg. Zlatko Trpkovski (geboren 2. Januar 1976 in Nattheim) ist im Jahr 2000 die Hauptfigur eines gigantischen Medienhypes um die Fernsehshow „Big Brother“ bei RTL II.

Das Konzept: Zehn Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, werden rund 100 Tage in einem Wohncontainer kaserniert und verzichten auf jegliche Privatsphäre. Rund um die Uhr werden sie mit Kameras und Mikrofonen überwacht. Die „Highlights“ laufen zur besten Sendezeit im Fernsehen als „Real-Life-Soap“. Zunächst interessieren sich nur wenige Zuschauer für „Big Brother“. Das Leben der Containerbewohner besteht scheinbar hauptsächlich aus Fitness, der Bekämpfung von Körperbehaarung und Kindergeburtstagsspielchen, mit denen die sich von der Außenwelt Abgeschnittenen Annehmlichkeiten verdienen.

Nach und nach wird allerdings ein Bewohner zum Publikumsliebling: Zlatko gewinnt mit seiner direkten Art viele Fans. Er sagt von sich selbst, er hat noch kein Buch gelesen. Im Wohnzimmer der Fernseh-WG trägt er zum Thema Shakespeare bei: „Sag mal ehrlich, muss man den kennen? … Den kenn ich schon, aber wenn du mich jetzt frägst, was er alles gemacht hat, keine Ahnung, ob der Romane geschrieben hat, Filme schon mitgemacht hat, Dokumentationen – keine Ahnung“. Auf die Empfehlung einer Mitbewohnerin, sich doch mal die „Romeo-und-Julia“-Verfilmung mit Leonardo DiCaprio anzusehen, fällt ihm ein: „Stimmt, das ist ja des Deppengeschwätz, wo ich nach 10 Minuten weggeschalten hab“.

Spätestens mit dieser Szene wird „Big Brother“ von einer langweiligen Fernsehshow zum Multimediaphänomen. Stefan Raab schlachtet Zlatkos Zitate in „TV Total“ genüsslich aus. Auch Harald Schmidt macht seine Witze, mehrere Zeitungen berichten und befeuern so das Phänomen „Sladdi, The Brain“. Zlatko scheidet zwar recht früh aus dem „Big Brother“-Wettbewerb aus, aber damit beginnt für ihn die eigentliche Show: Er bekommt ein eigenes Fernsehformat („Zlatkos Welt“). Kein Tag vergeht, ohne dass er in einer anderen TV-Sendung zu Gast ist, sogar bei seriösen Talkmastern wie Alfred Biolek. Außerdem erobert er die Spitze der Singlecharts. Der bekennende Wolfgang-Petry-Fan darf seinem Idol nacheifern und singt zum billigen Discofoxbeat irgendeinen Käse rund um die Schlagwörter „Hölle“ und „scheißegal“ und natürlich „Shakespeare“. Moderne Studiotechnik kann gesangliche Mängel einigermaßen überdecken.

Vier Wochen bleibt „Ich vermiss Dich… (wie die Hölle)“ auf Platz 1 und lässt internationale Hits wie „Oops… Did It Again“ von Britney Spears und „It’s My Life“ von Bon Jovi hinter sich. Zusammen mit Container-Kumpel Jürgen Milski gelingt ihm sogar noch ein Nummer-1-Hit („Großer Bruder“). Unglaublich dieser immense kommerzielle Erfolg eines künstlerisch gesehen komplett Talentlosen!

Der Spuk von Zlatkos medialer Omnipräsenz endet fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Erstaustrahlung von „Big Brother“. Übermütig tritt er mit dem Lied „Einer für alle“ beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2001 an. Sein Livegesang ist eine Katastrophe, das Publikum pfeift ihn gnadenlos aus. Er verabschiedet sich mit den Worten „Vielen herzlichen Dank, ihr Fotzköpfe!“ von der Bühne.

Aktuell: Zlatko arbeitet wieder als Handwerker. Er meidet Kameras und gibt kaum Interviews. Vielleicht lässt er sich eines Tages doch mal wieder zur Teilnahme an einem Fernsehformat wie „Promi Big Brother“ oder „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ überreden. Schließlich war er ein Antrieb für den Erfolg dieser Art Fernsehen in Deutschland. Update 2019: Genau dieser Fall ist eingetreten!

Urteil: Billigschlager, der nichts an sich hat, was auch nur ein Pünktchen rechtfertigen würde.

Björn Strößner

Zlatko – Ich vermiss‘ dich… (wie die Hölle)
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