Datum 1980
höchste Platzierung 7
Album Rom
Website http://www.dschinghis-khan.com/

VERKLEIDUNGSEXORZISMUS MIT UNTERHALTUNGSWERT

Man kann den Titeln, die in der Mehrzahl die oberen Plätze der deutschen Hitparaden besetzen, durchaus mal einen erheblichen Mangel literarischer Relevanz nachsagen. Aber wie schön, dass es hierbei auch wohlige Ausnahmen gibt. Zum Beispiel diese hier: „Durch das Tal des Todes und von Bagdad nach Stambul im Sonnenschein zogen sie dahin, dem Abenteuer auf der Spur, er und sein Freund durch die kalten Sternennächte und den heiĂźen Sand, sie waren frei, ritten sie und schon von weitem hat man ihn erkannt.“ Lyrische Bedeutungslosigkeit? Von wegen! Nicht nur die feingeistige wie bilderreiche Sprache, mit der hier dem Orient gehuldigt wird, sondern vor allem der unmittelbare Bezug zu einem der größten Abenteuerautoren, welche die Welt je gesehen hat, machen den eindrucksvollen Charakter jener Komposition aus. Keine Frage: Karl May hätte während seiner Schaffensphase bzw. des Verfassens seines Orient-Zyklus im heimatlichen Sachsen garantiert die Melodie von „Hadschi Halef Omar“ leise vor sich hingesummt.

Bildungsauftrag erfĂĽllt? Mitnichten! Wer war denn nun dieser Hadschi Halef Omar? Sein vollständiger Name lautet (echte Karl May-Fans werden diesen im Schlaf aufsagen können) Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. An der Seite seines Freundes Kara Ben Nemsi, dem Ich-Erzähler in den Orient-Romanen Mays, erlebt er auf der langen und gefahrvollen Reise durch das Osmanische Reich zahlreiche Abenteuer. Zwar zeichnet ihn vor allem ein groĂźer Hang zur SelbstĂĽberschätzung und Prahlerei aus, nichtsdestotrotz wirkt Halef stets als Sympathieträger, der fĂĽr seinen Herrn ein ums andere Mal sein Leben riskiert. Der Orient-Zyklus, in dem jene beiden erwähnten Figuren die tragenden Hauptrollen einnehmen, umfasst folgende Werke: „Durch die WĂĽste“, „Durchs wilde Kurdistan“, „Von Bagdad nach Stambul“, „In den Schluchten des Balkan“, „Durch das Land der Skipetaren“ und „Der Schut“. Und damit soll es auch genĂĽgen.

Aber immerhin erahnt man nun diese dezenten Anspielungen, mit denen der ehrwĂĽrdige Professor fĂĽr neue Literatur, Prof. Dr. Ralph Siegel, hier zu Werke geht. Die „ĂĽberzeugende optische Umsetzung und eine aufwändige Choreographie“ (Zitat von der Website), mit der sich das lustig kostĂĽmierte Sextett auf der BĂĽhne der „Aktuellen Schaubude“ präsentiert, erinnert zwar eher an die verkrampfte Inszenierung einer Theater AG, die das erste Mal vor den versammelten Eltern auftreten muss, aber hat irgendwie dann doch wieder ihren Charme. Der forsche 70er-Jahre-Disco-Sound, welcher hemmungslos die Vorgänger „Dschinghis Khan“ und „Moskau“ rezitiert, die unfreiwillig komischen Textphrasen (wie quetschen die bloĂź den bereits erwähnten kompletten Namen Hadschi Halef Omars in den Refrain?) und die teilweise umständlichen Bewegungsabläufe – man kann sagen, was man will, Siegel wusste gut zu unterhalten!

Womöglich wĂĽrde man diese Musik, diese Auftritte, diesen Verkleidungsexorzismus heute besser ertragen, wenn dieser Produzent das alles nicht so furchtbar ernst genommen hätte…

Aktuell (2019): Dschinghis Khan, der GroĂźkhan der Mongolen, verstarb bereits im frĂĽhen 13. Jahrhundert. Dschinghis Khan, die tänzelnde Zirkusnummer, tritt heute zusammen mit der „Ergänzungsband“ The Legacy Of Genghis Khan noch irgendwo auf. Vielleicht auch nicht. Sicherheitshalber brachte man zuletzt doch nur „Best Of“- und „Die groĂźen Hits“-Platten heraus. Mit den alten Liedern.

Urteil: Keineswegs lässt sich der Gruppe vorwerfen, sie hätte nicht ihren ganz eigenen Stil gefunden. Aber es verhält sich mit Dschinghis Khan wie mit Karl May: Den hat man früher mal gern gelesen. Zu Zeiten, als man noch selber bei Schulaufführungen mitmachte.

Jan

 

Dschinghis Khan – Hadschi Halef Omar
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