Datum 1995
höchste Platzierung 3
Album On The Attack And More
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MĂ„NNERKOMPLEXE ALS DANCEFLOOR-FASTFOOD

„Es gibt groĂźe Unterschiede zwischen schlaff und erigiert“. Prof. Dr. Frank Sommer, selbsternannter Experte fĂĽr Männergesundheit, wagt hier fĂĽr das neoboulevardeske Prosamagazin FOCUS Online schon mal eine äuĂźerst kĂĽhne Aussage – um daraufhin erschĂĽtternd emotionslos zu erklären, dass eine Mehrzahl der deutschen Männer, nämlich 60 Prozent, mit der Größe des besten StĂĽckes weitestgehend unzufrieden sei. Dabei belegen gewisse Statistiken, dass wiederum fast zwei Drittel der befragten Männer eine Penislänge zwischen 15 und 20 cm aufwiesen und damit absolut in der Norm lägen. Aber wer sagt gegenĂĽber Meinungsforschungsinstituten in solchen Angelegenheiten schon die Wahrheit.

Fernab demoskopischer Herangehensweisen an jenes hochsensible Thema oblag es dem Produzentenduo Manny Mohr und Charlie Rosario sowie der Sängerin Sandra Gillette, ihrerseits einen Beitrag zur klassischen Männlichkeitsdebatte zu leisten. Mit „Short Dick Man“ gelang dem Projekt 20 Fingers im Jahr 1994 ein Welterfolg, begrĂĽndet auf einem ĂĽberraschungsarmen Dancefloorbeat mit dezenter Basslinie und ein paar rhythmisch eingeflochtenen Rapschnipseln Gillettes. Die 20-Jährige aus New Jersey, USA, lieferte nonsensartige Ernst-Jandl-gemäße Wortbröckchen wie „Ah, ah, ah, ah, ah, ah…“ und „Uh! Uh! Uh! Uh! Uh! Uh!“ und „Don’t, Don’t, Don’t, Do Do, Don’t, Don’t, Don’t“ und ergänzte sie durch ein paar unzweideutige Bemerkungen ĂĽber zu klein geratene Genitalien, die sie im Musikvideo im Rahmen eines Herren-Castings mit der Lupe genauer inspiziert.

Peinigende Sätze wie „That has got to be the smallest dick I’ve ever seen in my whole life“ oder „Isn’t that cute an extra belly button. You need to put your pants back on honey“ hätten wohl kaum gnadenloser männliche Urkomplexe zum Vorschein bringen können. Aber, so äuĂźerte sich Manny Mohr einst, diese beatlastigen Polemiken auf die Maskulinität seien lediglich als Gegenentwurf zum typischen Proletengehabe US-amerikanischer Hip-Hop-Machos zu verstehen, die Frauen als dekorative Vorzeige- und Lustobjekte in ihren Tracks verarbeiten wĂĽrden. Ob diese Botschaft Mitte der 90er Jahre auf den französischen und italienischen Tanzflächen tatsächlich ankam – hier landete „Short Dick Man“ in den Charts jeweils auf Platz 1 – und bei den Klassenfahrtsabschluss- und Erstsemesterparties entsprechend kritisch diskutiert worden ist, bleibt fraglich.

DafĂĽr aber war das Miniskandälchen perfekt: Im Radio wurde nahezu ausschlieĂźlich die zensierte Fassung („Short short man“…) gespielt und prĂĽde Moralisten, vornehmlich in den USA, lehnten den Song sowieso und generell ab. Und auch Jahre später echauffierten sich noch einige ĂĽber dieses mäßig gelungene Machwerk aus Chicago. So sieht der Blogger Dan Reason in dem Titel vor allem einen „reaktionären“ Beitrag zur „heterosexistischen Diskriminierung“ und zeigt sich empört darĂĽber, dass es ĂĽberraschend seinen Platz auf der DJ-Playlist einer Antifa-Veranstaltung fand.

Sei’s drum, 20 Fingers starben eh recht bald den frĂĽhen Tod der 90er-Eurodance-Projekte, als welches sie sich eigentlich nicht verstehen wollten. Die Debatten jedoch blieben – ĂĽber Größe und Länge und das alles so darum herum. Es gibt wichtigeres… auch als 20 Fingers selbst.

Aktuell: Irgendwie existieren 20 Fingers noch, zumindest als Produzentenact, das aber nicht mehr wirklich in Erscheinung tritt. Sicherlich partizipierten sie an diversen Remixes, die von „Short Dick Man“ in den letzten Jahren noch herauskamen.

Urteil: Ein ziemlich tumbes Dancefloorstück, das sich einzig aus der vermeintlich ordinären Thematik nährt, aber sonst tanzbare Hausmannskost auf Fastfood-Niveau bietet.

Jan

20 Fingers – Short Dick Man
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